»Ein Gegenstand ernster Sorge«
Von Knut Mellenthin
IAEA-Chef Rafael Grossi hat den Konflikt zwischen der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien und dem Iran wieder einmal in die Schlagzeilen geschoben. Nachrichtenagenturen und andere Medien zitierten am Mittwoch die Worte »ein Gegenstand ernster Sorge« (»a matter of serious concern«) aus Grossis aktuellem Report zum iranischen Atomprogramm für das Treffen des Gouverneursrats (Board of Governors) der IAEA, das am Montag beginnt. Diese Sitzungen finden normalerweise viermal im Jahr statt, und ihre Vorbereitung durch Länderberichte ist Standard. Diese gelten als streng vertraulich, bis das Board of Governors sie zur Veröffentlichung freigibt. In der Realität wird das nie eingehalten: Sobald der Bericht intern vorliegt, haben ihn auch die Medien und zitieren daraus – nicht immer wortgetreu und sinnentsprechend.
Worüber Grossi sich Sorgen macht, ist nicht eindeutig. Ist es die Menge an 60prozentig angereichertem Uran, die im Iran gelagert wird? Ist es deren Zuwachs um 32,3 Kilogramm (laut Grossis Bericht) zwischen dem 17. Mai und dem 13. Juni – dem Beginn des zwölftägigen israelischen Bombenkrieges gegen Iran, dem sich zuletzt am 22. Juni auch die USA anschlossen? Ist es der Umstand, dass die Inspekteure der IAEA sich gegenwärtig nicht direkt an Ort und Stelle ein Bild machen können, weil ihre regelmäßigen Visiten und Messungen seit Juli aufgrund eines vom Parlament in Teheran beschlossenen Gesetzes blockiert sind? Oder ist es vor allem die unbestrittene Tatsache, dass in der Islamischen Republik bis zu diesem Grad angereichert wird? Iran sei der einzige Staat ohne Atomwaffen, der über solches Material verfüge, betont der IAEA-Chef. Das mag stimmen, ist aber kein Argument gegen den iranischen Standpunkt, dass dies kein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag sei, den das Land schon 1968 unterzeichnet und 1970 ratifiziert hat.
Die Interpretation seiner »ernsten Sorge« lieferte Grossi am Mittwoch mündlich gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters und anderen Medien. Die Verhandlungen zwischen der von ihm geleiteten Behörde und der Regierung in Teheran über die Wiederaufnahme der Inspektionen könnten »nicht monatelang endlos weitergehen«, beschwerte sich Grossi öffentlich. Er strebe ein zeitnahes Treffen am Sitz der IAEA in Wien und eine Vereinbarung »vor der nächsten Woche« an, also noch vor Beginn der Sitzung des Board of Governors.
Unausgesprochen liegt in der Herstellung dieses Zusammenhangs die Drohung, dass das Gremium andernfalls eine für Iran negative Resolution beschließen könnte, wie es in der Vergangenheit schon mehrfach geschah. Über dem Vorgang wabert die Suggestion, die IAEA wüsste nicht, wieviel 60prozentig angereichertes Material Iran besitzt und wo sich dieses nach den Luftangriffen vom Juni befindet. Gesagt hat der IAEA-Chef den Journalisten aber das Gegenteil: »Wir haben keine Hinweise, die uns annehmen lassen, es habe größere Materialbewegungen gegeben.«
Trotz dieser Klarstellung belastet Grossis Vorstoß absehbar die Verhandlungen zwischen der Behörde und Teheran, statt eine Einigung zu fördern. Es ist allgemein bekannt und vielfach bewiesen, dass die iranische Seite auf öffentlichen Druck demonstrativ abweisend reagiert. Am Donnerstag wurde Grossis Auftritt in iranischen Medien zunächst nicht einmal erwähnt. Das lässt darauf schließen, dass eine offizielle Gegenstellungnahme vorbereitet wird, die wahrscheinlich von Außenminister Abbas Araghtschi oder dem Sprecher des Ministeriums verkündet werden wird.
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