Schikane in Chicago
Von Lars Pieck
Mit den Worten »Wir gehen rein« verkündete US-Präsident Donald Trump den Einsatz der Nationalgarde und weiterer Bundesagenten in Chicago bei einer Pressekonferenz am Dienstag. Erneut dient Kriminalitätsbekämpfung als Vorwand: »Ich habe eine Verpflichtung«, so Trump, der selbige nicht als »politische Angelegenheit« verstanden wissen will. Vergebens, denn der Einsatz in der drittgrößten Stadt der USA stößt bereits auf Widerstand. Der Gouverneur von Illinois, Jay Robert Pritzker, potentiell Präsidentschaftskandidat der Demokraten für 2028, stellte gleichentags abermals klar, dass die bundesstaatliche Intervention weder notwendig noch gewollt sei.
Trump kümmert das nicht: Er droht inzwischen auch der demokratisch regierten Stadt Baltimore. Ebensowenig schert er sich um die ebenfalls am Dienstag bundesrichterlich gefällte Entscheidung, dass der Einsatz der Nationalgarde in Los Angeles vor drei Monaten illegal war. Der Generalstaatsanwalt von Illinois, Kwame Raoul, warnte, dass Stadt und Bundesstaat ebenfalls klagen werden, sobald die Intervention beginnt.
Illinois hatte sein böses Erwachen am Sonnabend, als der Grenzbehördenchef sowie Leiter der Abschiebungsoperationen in L. A., Gregory Bovino, anrief, um ohne genauere Angaben mitzuteilen, dass seine Behörde alsbald in Chicago einreiten werde. Pritzker hielt die Bevölkerung laut AP dazu an, die Spannungen, die durch derlei Bundesinterventionen zwangsweise entstehen, nicht hochkochen zu lassen. Zusätzlich sollen die Anwohner aufeinander achten, Interaktionen mit den Behörden dokumentieren und veröffentlichen.
Schon während seiner ersten Amtszeit und der zugehörigen Kampagne hatte Trump es auf Chicago abgesehen. So verglich er die Stadt 2017 mit Kriegsgebieten in Afghanistan und fabulierte dortige Waffengewalt herbei, die nur durch bundesstaatliche Agenten bekämpft werden könne. Doch in Chicago sind Gewaltverbrechen rückläufig – wie in allen großen Städten der USA. In der ersten Hälfte dieses Jahres seien die Schießereien um 37, die Morde um 32 und die Gewaltverbrechen insgesamt um 22 Prozent zurückgegangen, teilten dortige Behörden mit.
Nun bereiten sich Aktivisten, Schulen und Kirchen auf die erhöhte Präsenz von Bundesagenten vor. Zwar weiß niemand, was genau auf Chicago zukommt. Dennoch zirkulieren Demonstrationspläne und mit ihnen das Versprechen, innerhalb weniger Stunden auf der Straße zu sein, sobald Trumps Schergen eintreffen. Dutzende Pastoren verfassten einen offenen Brief an den Präsidenten, in dem sie ihn dazu anhielten, sich statt dessen auf unterfinanzierte Schulen und Erwerbslosigkeit zu fokussieren. An die Gläubigen appellierten sie, »ihre Herzen auf den Widerstand vorzubereiten«.
Für diesen Widerstand können sich Aktivisten von den Gruppen aus Washington, D. C., inspirieren lassen. Dort haben sich nämlich freiwillige Patrouillen formiert, die den nachts marodierenden Bundestruppen folgen, wie The Nation Ende August berichtete. Ausgerüstet mit nichts als Handys, medizinischem Material und dem Willen, ihre schwindenden Rechte zu verteidigen, versuchten die Patrouillen demnach, ihre Mitmenschen vor staatlicher Gewalt, Belästigung und Entführung zu schützen. Gelinge dies nicht, seien sie zur Stelle, um die Brutalitäten sowie Verfassungsbrüche aufzuzeichnen und Erste Hilfe zu leisten. Ferner würden Kundgebungen oder Festivals organisiert, um mehr Menschen für den Protest und die Solidaritätsbewegung, etwa die Patrouillen, zu mobilisieren.
»Wir werden uns retten! Sie werden uns nicht retten!« lautet die Parole der Aktivisten in Washington. Damit haben sie leider recht, wie die erbärmliche Kapitulation der Bürgermeisterin von D. C., Muriel Bowser, vor Trump jüngst gezeigt hat. Außerdem werden auch langwierige Klagen den Republikaner nicht aufhalten, selbst wenn sie erfolgreich sind. Den Bewohnern jener Städte, die Trump ein Dorn im Auge sind, bleibt folglich nichts anderes übrig, als sich zu organisieren und gemeinsam Widerstand zu leisten – ob in Los Angeles, D. C. und bald auch in Chicago und Baltimore.
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