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Aus: Ausgabe vom 05.09.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Südamerika

Regionalwahl als Showdown

Argentinien: Am Sonntag wird in der Provinz Buenos Aires gewählt. Eine Niederlage käme für Präsident Milei äußerst ungünstig
Von Frederic Schnatterer
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Demonstranten greifen Javier Mileis Autokolonne am 27. August in Lomas de Zamora mit Steinen an

Das Sicherheitsaufgebot war immens. Scharfschützen auf den umliegenden Dächern, Hubschrauber in der Luft, Hunderte Polizeikräfte: Im als feindlich wahrgenommenem Gebiet hat das Parteienbündnis La Libertad Avanza am Mittwoch abend (Ortszeit) seinen Wahlkampfabschluss begangen. Auf einem Fußballfeld in Moreno, einer Arbeiterstadt im Speckgürtel von Buenos Aires, rief der ultrarechte Präsident Javier Milei fast verzweifelt zur Stimmabgabe für seine Kandidaten auf. Am Sonntag wird in der Provinz Buenos Aires gewählt. Hier regiert mit Axel Kicillof einer der prominentesten Oppositionspolitiker des Landes.

Von einer Bühne aus zeterte Milei, der Gouverneur, den er zum wiederholten Male als »sowjetischen Zwerg« betitelte, habe die Provinz ins Elend gestürzt. »Das Leben der Menschen in Buenos Aires wird unter Kicillof immer schlimmer«, behauptete er. Daher zähle am Sonntag jede Stimme. »Heute sagen alle Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus«, so Milei. »Wenn ihr nicht wählen geht, werden sie gewinnen. Daher wird die Stimme jedes einzelnen mehr denn je den Unterschied machen.« Die Provinz Buenos Aires, zu der der Hauptstadtbezirk nicht gehört, ist die bevölkerungsreichste des Landes; hier lebt mehr als ein Drittel aller Argentinierinnen und Argentinier.

Die Regierung Milei hat die Abstimmung in der Provinz zur Mutter aller Schlachten erklärt. Mit dem Slogan »Kirchnerismo nunca más« (»Nie wieder Kirchnerismus«, politische Strömung der progressiven Expräsidenten Néstor und Cristina Fernández de Kirchner) scheut er dabei auch nicht vor einer offenen Verhöhnung der Zehntausenden Opfer der letzten Militärdiktatur (1976–1983) zurück. Der Schritt, die Wahl zum Showdown gegen die Linksopposition zu machen, ist allerdings riskant: Eine Niederlage für den Ultrarechten würde die Regierungspartei La Libertad Avanza in eine äußerst schlechte Ausgangsposition für die Ende Oktober anstehenden Parlamentswahlen versetzen. Zuletzt hatten mehrere Umfragen das Bündnis von Kicillof, Fuerza Patria, vorne gesehen.

Ohnehin kommt die Provinzwahl für Milei zu einem ungünstigen Zeitpunkt. In den vergangenen Wochen waren Audiomitschnitte in Umlauf gebracht worden, die schwere Korruptionsvergehen enger Regierungsvertrauter nahelegen. Im Zentrum der Anschuldigungen steht die Präsidentenschwester Karina Milei, die als Generalsekretärin ihres Bruders und Vorsitzende von La Libertad Avanza als äußerst mächtig gilt. Anfang der Woche erwirkte Karina Milei in autoritärer Manier einen Gerichtsentscheid, der die Verbreitung weiterer inkriminierender Audios untersagt. Die Regierung brachte die Verschwörungserzählung in Umlauf, hinter der Aufdeckung des Skandals stünden russische und venezolanische Geheimdienste. Das große Versprechen von Milei, ein für alle Mal mit der Korruption der »Kaste« aufzuräumen, hat jedoch zumindest Kratzer bekommen.

Zum Wahlkampfabschluss gekommen waren deutlich weniger Milei-Anhänger als erwartet. Viele verließen die Veranstaltung zudem bereits vor ihrem offiziellen Ende. Im Gegensatz zu anderen öffentlichen Auftritten von Milei, seiner Schwester Karina oder von Regierungskandidaten, bei denen es in den vergangenen Wochen teils zu Tumulten gekommen war, blieb es am Mittwoch vergleichsweise ruhig. Kicillof hatte dem Präsidenten vorab vorgeworfen, Ausschreitungen wie die in Lomas de Zamora provozieren zu wollen und erklärt, er mache Milei für jegliche Gewalt verantwortlich. Der Staatschef hingegen malte zuletzt immer offensiver das Bild eines Mordkomplotts an die Wand, so zuletzt am Dienstag in einem Interview mit Louis Sarkozy, dem Sohn des französischen Expräsidenten.

Während der Präsident seine Kampagne auf der angeblichen Unsicherheit in der Provinz Buenos Aires und antikommunistischen Hetztiraden aufbaute, setzte Kicillof auf einen wirtschaftsfreundlichen Ton. Bereits am Dienstag abend erklärte er vor Vertretern der argentinischen Industrie in San Martín im Großraum Buenos Aires: »Was dem argentinischen Volk angetan wird, ist eine Katastrophe, und dafür gibt es nur einen Verantwortlichen: Javier Milei.« Die Wirtschaftspolitik der Zentralregierung sei »zutiefst industriefeindlich«, das Modell diene einzig den Finanzspekulanten und den Zockern. Bei den Warnungen vor einem Wirtschaftsbeben im Falle einer Wahlniederlage der Milei-Partei am Sonntag bezeichnete er als reine Panikmache. »Mehr Instabilität als die, die von den Unfähigen an der Spitze des Wirtschaftsministeriums, der Zentralbank und der Finanzbehörden Argentiniens ausgeht, ist unmöglich.«

»Bei dieser Wahl sagen wir Milei, dass es reicht. Aber wir sagen auch, dass Argentinien eine Zukunft hat, und diese Zukunft ist produktiv und industriell«, so Kicillof weiter. Die Wahl in der Provinz wird so nicht zuletzt zu einer zwischen zwei Wirtschaftsmodellen. Während Kicillof einen protektionistischen Wirtschaftskurs vertritt, der der heimischen Industrieproduktion eine zentrale Rolle bei der Erholung der Wirtschaft des Landes beimisst, setzt Milei auf eine radikale Marktöffnung. Diese hat in Verbindung mit der künstlich überbewerteten Landeswährung Peso zu einem starken Anstieg der Warenimporte geführt. In der Folge kämpfen große Teile der argentinischen Industrie mittlerweile ums Überleben. Allerdings, und darauf wird Milei auch am Sonntag setzen, konnte die Regierung so die zuvor überbordende Inflation deutlich senken – eines ihrer zentralen Wahlkampfversprechen.

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