Steigende Erwerbslosigkeit in Italien
Von Gerhard Feldbauer
Für Tausende Arbeiter des Autokonzerns Stellantis in Italien beginnt die Rückkehr in die Fabrik nach der Sommerpause mit dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes. Für mehr als 5.570 Arbeiter der Werke Termoli am Rande der Aruzzen und Pomigliano d’Arco (Neapel) werden neue Solidaritätsverträge gelten. So werden die Arbeitsplätze um ein weiteres Jahr gesichert. Die Arbeiter aber müssen auf einen Teil ihres Lohns verzichten. Die gut 3.300 Kollegen im Turiner Werk Mirafiori erhalten eine Vertragsverlängerung für fünf Monate.
Insgesamt droht 32.745 Beschäftigten die Entlassung, wie die Plattform Collettiva der Gewerkschaft CGIL am Dienstag berichtete. Bereits im vergangenen Jahr hatten demnach 3.700 Stellantis-Kollegen ihren Job verloren. Für dieses Jahr sind bereits 2.352 Kündigungen vorgesehen. Mit weiteren ist zu rechnen. Denn Trumps Zölle zeigten erste Auswirkungen, und auch die Absatzkrise hält an. In Westeuropa verkaufte Stellantis zuletzt 151.391 Autos. Das war 1,1 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Der Marktanteil sank entsprechend.
Es sei an der Zeit, dass die Regierung eingreift und der CEO von Stellantis einen Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsplan vorlegt, wie Italien mit der Krise fertig werden will, erklärte Michele De Palma, Generalsekretär der CGIL-Gewerkschaft Fiom. Er erinnerte daran, dass die Zahl der Solidaritätsverträge, die in der Regel zum Verlust des Arbeitsplatzes führen, in italienischen Fabriken bereits in den letzten Jahren zugenommen hat.
Das vorangegangene Jahr war schon von einem Entlassungsboom gekennzeichnet. Hunderte Kündigungen etwa bei Etatron in Rieti, einem Hersteller von Dosierpumpen, bei Electrolux, bei Fpt Industrial Turin, einem Unternehmen der Iveco-Gruppe, das schwere Fahrzeuge, Traktoren und Landmaschinen herstellt, beim Lebensmittelunternehmen Cesare Fiorucci aus Santa Palomba (Rom) bis hin zur Branche der Haushaltsgeräte, der Gastronomie und des Tourismus summierten sich zu Tausenden Erwerbslosen.
Die steigenden Zahlen von Arbeitsuchenden führten dazu, dass seit Januar 2022 die Auswanderung von Italienern um 9,8 Prozent zugenommen hat und auf 5.806.068 im Ausland lebende Bürger angestiegen ist. Gegenüber 2020 ist es sogar ein Zuwachs von 5,8 Prozent. Er spiegelt die Folgen der immer schlechter werdenden Lebensbedingungen in Italien wider. Diejenigen, die das Land verlassen, tun es in der Regel, weil sie in Italien keinen bzw. keinen adäquaten Arbeitsplatz für ihren Ausbildungs- und Studienweg finden.
Italien sei ein Niedriglohnland, die Prekarität selbst in hochqualifizierten Sektoren weit verbreitet. »Aus diesem Grund wird Humankapital mit höheren Erwartungen von den mittel- und nordeuropäischen Ländern wie ein Magnet angezogen und entzieht der Entwicklung unseres Landes wertvolle Humanressourcen«, hieß es in der 17. Ausgabe des »Berichts der Italiener in der Welt« der Stiftung Migrantes. Demnach kommen von den im Ausland lebenden Menschen über 2,7 Millionen (47 Prozent) aus dem Süden (davon etwa 936.000, 16 Prozent, aus Sizilien oder Sardinien). Aber auch aus dem reichen Norditalien sind über 2,1 Millionen (37,2 Prozent) ausgereist, 15,7 Prozent stammen aus Mittelitalien. Bedenklich sei auch, so Collettiva, dass von knapp über zehn Millionen jungen Menschen zwischen 18 und 34 Jahren drei Millionen das Land verlassen haben.
Nicht wenige Erwerbslose mussten sich in das wachsende Heer der von Armut Betroffenen in Italien einreihen. Wie das staatliche Statistikamt ISTAT kürzlich mitteilte, betraf die absolute Armut im Jahr 2023 8,5 Prozent der Familien, also etwa 5,7 Millionen Menschen. Die Anzahl derer, die unter der Armutsgrenze leben müssen, liege in Italien mit 24,2 Prozent damit über dem EU-Mittelwert (21,6 Prozent).
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