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Aus: Ausgabe vom 04.09.2025, Seite 14 / Leserbriefe

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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Welche Macht?

Zu jW vom 30./31.8.: »Aus Leserbriefen an die Redaktion«

Ich möchte mich zu dem Brief der jW-Leserin Christiane Baumann äußern. Sie schreibt von der »Macht, die für einen Augenblick auf der Straße gelegen hat«. Für mich stellt sich die Frage: Welche Macht? Wie es denn nach 1989/90 hätte weitergehen sollen? Nicht alle DDR-Bürgerinnen und -Bürger sind damals auf die Straße gegangen. Ich glaube aber, dass die meisten, auch stillschweigend, sich vom realen Sozialismus, ja von der DDR losgesagt hatten. Zu groß war schon der Einfluss der Westmedien gewesen, zu verlockend das Konsumangebot im ach so goldenen Westen und so »glaubhaft« die leeren Versprechungen der Politiker aus der BRD. Dabei waren die Weichen für die Ausplünderung der DDR und der anderen sozialistischen Staaten schon lange gestellt gewesen. Es ist schon lange abzusehen gewesen, dass sich die selbst ernannten DDR-Bürgerrechtlerinnen und -Bürgerrechtler, die ja angeblich nur »mehr Demokratie«, »mehr Reisefreiheit« usw. einforderten, nicht durchsetzen könnten. Inzwischen sind diese schon lange im Kapitalismus angekommen. Dabei wäre es gerade heute angebracht, gegen den weiteren Arbeitsplatz- und Sozialabbau und die dadurch weiter zunehmende Verarmung immer größer werdender Teile der Bevölkerung, gegen die weitere Militarisierung der Gesellschaft und die Kriegspolitik auf die Straße zu gehen.

Joachim Becker, Eilenburg

Reformpaket

Die Wahlversprechen der christsozialen und sozialdemokratischen Politiker fallen wie die Blätter von den politischen Parteibäumen zu Boden. In Würzburg bemäntelte die Regierungskoalition die nackte Wahrheit über den gesellschaftlichen und ökonomischen Zustand Deutschlands mit lügnerischem Zweckoptimismus, schönfärberischen Selfies und dem Abriss der Sozialsysteme sowie Drohungen gegen alle und alles, was sich der kriegseifernden Politik der Regierenden entgegenstellt. Aber leider ist auch die SPD ganz aktiv dabei und beteiligt sich an der Unterstützung von Kriegstüchtigkeit und dem Abbau des sogenannten Sozialstaates.

Dabei wären umfassende sowie weitreichende Reformen in Gesellschaft und Wirtschaft dringend notwendig. Mut und Entschlossenheit für einen radikalen Umbau der Wirtschaft, der Finanz- und Sozialsysteme zugunsten der Bürgerinnen und Bürger sind dringend gefragt. Und, die deutsche Diplomatie müsste endlich konsequent auf die Anwendung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz ausgerichtet und die verhängnisvollen und gefährlichen kriegsfördernden Aktivitäten mit deren billionenfachen Euroausgaben beendet werden.

Ja, es braucht insgesamt eine neue und ideenreiche politische Wende auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens! Zuerst wären eine Stärkung und der Ausbau der Tarifautonomie, die Erhöhung des Mindestlohnes und des Bürgergeldes sowie eine einheitliche Kranken- und Rentenversicherung für alle und die Senkung der Militär- und Rüstungsausgaben nur konsequent. Dringend erforderlich sind die Beseitigung der Lohnunterschiede zwischen Ost und West sowie die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland.

Die Entrümpelung konservativer, nationalistischer und militanter Entwicklungshemmnisse könnte mit grundsätzlichen Reformen des Föderalismus, des Abgeordnetenstatus (Trennung und Befristung von Amt und Mandat) und der Abschaffung des Berufsbeamtentums, des Amtes eines Bundespräsidenten sowie des Verfassungsschutzes endlich beginnen. Damit untrennbar verbunden muss die abschließende Arbeit am Grundgesetz für eine Verfassung mit einer neuen Nationalhymne sein. Militante Burschenschaften, Bundesadler und Eiserne-Kreuz-Symbolik gehören endlich abgeschafft. Es gibt viel zu tun. Wer packt es wirklich an?

Raimon Brete, Chemnitz

Guter Wille

Zu jW vom 2.9.: »›Eine Versöhnung wurde nie zugelassen‹«

(…) Während meiner zweijährigen Aspirantur am Leningrader Konservatorium wurde ich von einem lettischen Professor (Arvid Jansons) im Hauptfach unterrichtet, gemeinsam auch mit lettischen Studenten, die zufälligerweise im Studentenwohnheim im Zimmer gegenüber wohnten. Daher weiß ich aus erster Quelle, welche Formen die Versöhnungen zwischen den Bewohnern unseres Wohnheims annahmen. Wir verstanden uns alle blendend. Es gab keinerlei Probleme. Allerdings hatten Wehrmacht und SS während der deutschen Besatzungszeit in Lettland zehn Familienmitglieder von Frau Jansons umgebracht. Mit Deutschland, welches dies veranlasste, hat nun Lettland verständlicherweise keine Probleme, da ja eigene SS‑Einheiten bei der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung halfen. Für die SS wurden dann nach 1990 Denkmäler in Lettland errichtet. Deutschen, die dagegen protestieren wollten, sperrte man (Schengen hin, Schengen her) die Einreise. Mit solchen Deutschen wollen die Letten keine Versöhnung. Nach Mitgliedschaft in der EU verlor das Land dann zwei Fünftel der Bevölkerung. In den baltischen Staaten gibt es seit der Mitgliedschaft in der EU einen wirtschaftlichen Niedergang, wie er weder im Zarenreich noch in der UdSSR denkbar gewesen wäre. Niedergang steht auch der deutschen Wirtschaft bevor, die es sich gleichzeitig mit Russland und China verscherzt. (…)

Der deutsche Dirigent Hermann Scherchen wurde im August 1914 bei einem Gastdirigat in Riga vom Beginn des Weltkrieges überrascht und als Ausländer in Lettland sofort interniert und in die Verbannung geschickt, da Lettland zum Russischen Reich gehörte. Am Verbannungsort lebte er in einer privaten Unterkunft, erteilte Violinunterricht und gründete ein kleines Orchester, dessen Konzerte trotz Gegnerschaft mit Deutschland rege besucht wurden. Die Oktoberrevolution, die er begrüßte, erlebte er dann in Petrograd. Nach Kriegsende leitete er in Wien u. a. Arbeiterchöre und war ein Wegbereiter zeitgenössischer Musik. Kulturelle Zusammenarbeit trotz Krieg ist bei gutem Willen also durchaus möglich, aber nur, wenn guter Wille nicht durch Bösartigkeit und Schikanen ersetzt wird.

Fred Buttkewitz, Ulan-Ude (Russland)

Die Wahlversprechen der christsozialen und sozialdemokratischen Politiker fallen wie die Blätter von den politischen Parteibäumen zu Boden.

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