Druck von Finanzmärkten
Von Christian Bunke
Am 26. November wird die britische Finanzministerin Rachel Reeves im Unterhaus einen neuen Haushaltsplan vorlegen –das »Herbstbudget«. Der Termin wurde am Mittwoch bekanntgegeben, nachdem das Finanzministerium in dieser Frage lange laviert hatte. Rechtlich gesehen muss die Regierung diesen Termin mindestens zehn Wochen vorab verkünden, um dem »Office for Budget Responsibility«, einer etwa mit dem Rechnungshof vergleichbaren Behörde, genügend Zeit für die Erarbeitung von Wirtschaftsprognosen zu geben, an denen sich der neue Staatshaushalt wird messen müssen.
Es scheint, als ob die sozialdemokratische Labour-Regierung unter Premierminister Keir Starmer den spätestmöglichen Termin gewählt hat. Bis dahin versucht Starmer, an Stellschrauben zu drehen. Zu Beginn dieser Woche holte er neue Berater in seinen Amtssitz in der Downing Street Nr. 10. Unter anderem ernannte er den bislang als Minister dem Finanzministerium zugeteilten Unterhausabgeordneten Darren Jones zum Chefsekretär des Premierministers. Zusätzlich holte er Minouche Shafik, die zuvor für die Bank of England und den Internationalen Währungsfonds gearbeitet hatte. Die in der Nr. 10 verfügbare Finanzexpertise wird somit deutlich gestärkt, was Spekulationen darüber erzeugte, ob Starmer das Finanzministerium zukünftig enger an die Leine legen möchte.
Hintergrund dieser Spekulation ist die sich verschärfende wirtschaftliche und politische Situation im Vereinigten Königreich. Labour hatte die Wahlen unter anderem mit dem Versprechen gewonnen, für Wirtschaftswachstum zu sorgen. Doch das kommt nicht, die Wirtschaft stagniert. Statt dessen wächst die Inflation. Die Menschen ächzen unter steigenden Lebenshaltungskosten, was die Konsumlaune trübt. Hinzu kommt ein bislang ungedecktes Haushaltsloch in der britischen Staatskasse. Dieses beläuft sich auf zwischen 40 und 50 Milliarden Pfund Sterling. Genau weiß das in der Öffentlichkeit aber keiner, es sind alles Spekulationen. Spekulationen, welche Rachel Reeves spätestens am 26. November beenden muss.
Dann muss die Finanzministerin auch erklären, wie sie das Haushaltsloch stopfen möchte. Geld auf den internationalen Finanzmärkten zu leihen, wird schwierig und teuer. Laut verschiedenen Medienberichten sind die dem britischen Staat dafür auferlegten Zinsen derzeit so hoch wie seit 1998 nicht mehr. Die Rede ist von Leihzinsen in Höhe von 5,72 Prozent. Der City of London nahestehende Medien wie Financial Times, Times oder The Telegraph schreiben unisono, hier handele es sich um eine Reaktion der Finanzmärkte auf von Reeves angeblich geplante Steuererhöhungen, wie zum Beispiel eine Erhöhung der Grundsteuer auf Immobilien. Jede große Industrienation auf der Welt ist derzeit von hohen Leihzinsen und steigender Inflation betroffen. Im britischen Fall scheint aber auch ein Element politischer Erpressung durch die Finanzmärkte vorzuliegen.
Wenn also Neuverschuldung schwierig, und Steuererhöhungen unbeliebt sind, was bleibt dann übrig? Eine Möglichkeit sind neue Angriffe auf Sozialhilfebezieher, Menschen mit Behinderungen und chronisch kranke Menschen. Die konservative Tageszeitung The Telegraph schrieb diesbezüglich am zweiten September, Starmer habe eine Reihe von Experten in seinen Amtssitz geholt, die sich gut mit der Durchführung und Vermarktung von Sozialkürzungen auskennen. Im vergangenen Frühling hatte Finanzministerin Reeves versucht, ein Sparpaket durchzusetzen, das vor allem Kürzungen bei Beihilfen für Menschen mit Behinderungen vorgesehen hatte.
Nach heftigen Protesten aus der Behindertenrechtsbewegung, aber auch aus Teilen der Gewerkschaftsbewegung, musste Reeves teilweise zurückrudern und konnte die Einsparungen nur in abgespeckter Form durch das Unterhaus bringen. Neben der proisraelischen Haltung der britischen Regierung im Angesicht des Genozids im Gazastreifen gelten die Auseinandersetzungen aus dem Frühjahr rund um die Einsparungen als ein entscheidender Grund, der zur Gründung der neuen Linkspartei rund um die ehemaligen Labour-Politiker Zarah Sultana und Jeremy Corbyn geführt hat. Neue Konfrontationen sind programmiert.
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