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Aus: Ausgabe vom 04.09.2025, Seite 8 / Inland
Videoüberwachung und »KI«

»Die Regierung widmet sich Sicherheitsgefühlen«

Hessen: Polizei setzt KI zur Überwachung des Frankfurter Bahnhofsviertels ein. Datenschützer warnen. Ein Gespräch mit Roman Peters
Interview: Gitta Düperthal
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Sichtbare Kontrolle: Polizeieinsatz in Frankfurt am Main anlässlich einer Palästina-Solidarätsdemonstration (30.8.2025)

Im Frankfurter Bahnhofsviertel setzt die hessische Polizei erstmals sogenannte künstliche Intelligenz ein, um Bilder aus Überwachungskameras auszuwerten. Einigen mag das egal sein, da sie nichts zu verbergen hätten. Warum warnen »Die Datenschützer Rhein Main« davor?

Dieses Argument ist Blödsinn. Kameras sind nicht trainiert, etwa nur vermisste Personen oder Verbrecher zu erkennen, und bei anderen schalten sie sich ab. Gefilmt wird, wer den überwachten Bereich betritt – auch Passanten. Wer will von Beamtinnen und Beamten beobachtet werden, was er im Wohn- oder Schlafzimmer tut? Ähnlich ist es auf der Straße: Dokumentiert wird, wenn jemand Flaschen sammelt, weil er kein Geld hat; zum Psychologen geht oder in ein Bordell: Im Frankfurter Bahnhofsviertel ist ja das Rotlichtmilieu. Wer will das schon?

Sie beteiligen sich an Protesten, weil dort vor dem Eingang einer Beratungsstelle eine Videokamera angebracht ist – warum?

Zu Recht beschwert sich der Verein Doña Carmen, der seit Jahrzehnten eine Beratungsstelle für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten betreibt, dass jeder überwacht wird, der ein und aus geht. Mitunter lassen sich dort Menschen beraten, wie sie in der BRD einen legalen Status erhalten. Müssen sie befürchten, von der Polizei beobachtet zu werden, schreckt das ab.

Was hat es mit Gesichtsscans oder Bewegungsprofilen auf sich?

Die Gefahr ist weniger, was die Polizei aktuell damit anstellen könnte. Um Bilder einer Personen- oder Gruppenfahndung zu verwenden, bedarf es einer richterlichen Anordnung. Alle Nichtbetroffenen könnte man automatisch verpixeln. Unklar ist aber, ob die KI fehlerfrei funktioniert. Menschen könnten falsch erkannt werden, etwa weil sie jemandem ähneln, der wegen Straftaten gesucht wird. Man stelle sich vor, es dann mit dem SEK zu tun zu haben. Ist die KI hauptsächlich auf weiße Männer trainiert, kann Fehlerhäufigkeit im Fall von Menschen, die nicht weiß sind, oder bei Frauen die Folge sein. Auch bei Verhaltenserkennung kann es fehlerhaft laufen. Auffälligkeit könnte registriert werden bei Menschen mit psychischer Erkrankung oder Behinderung; bei Drogensüchtigen, Betrunkenen, Obdachlosen – oder auch nur, wenn jemand länger am selben Ort verweilt.

Welche Gefahren sehen Sie?

Was noch verboten ist, lässt sich aufweichen: Was im Fall von Verbrechen gilt, könnte man bei Ordnungswidrigkeiten nutzen. Bis Gerichte Fehlerhaftes einfangen, kann es dauern. Kommt eine Regierung an die Macht, die nicht auf Basis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung agiert, lassen sich politisch Oppositionelle überwachen. Die Polizei könnte Menschenmengen erfassen und mit geometrischen Passbildern abgleichen.

Befürworter sagen, KI ermögliche, effizienter nach »terroristischen Gefährdern« zu fahnden, Vermisste zu identifizieren oder Waffen zu erkennen.

Deutschland ist einer der sichersten Staaten der Welt. Die Gefahr ist gering, einem terroristischen Anschlag zum Opfer zu fallen. Aber werden Menschen vom Auto angefahren, reagiert die Kamera nicht, da es nicht als Waffe gilt. Reagierte die Kamera auf versteckte Messer, würde jedes neu gekaufte Küchenmesser Fehlalarm auslösen. Dass die Polizei schneller am Tatort wäre, ist unwahrscheinlich.

Anders als etwa in Hamburg ist Videoüberwachung in Hessen nicht auf »kriminalitätsbelastete Orte« beschränkt, sondern darf in polizeilich definierten »Angsträumen« eingesetzt werden. Wohin führt das?

Die CDU/SPD-Landesregierung widmet sich Sicherheitsgefühlen, nicht tatsächlicher Gefährdung: also Glaubensfragen! Dafür muss sie kein Personal aufstocken, nur Geräte anschaffen. Warum aber sollten sich Menschen durch Kameras sicherer fühlen? Wer klar denkt, folgert bei deren Anblick: Hier muss es gefährlich sein. Wir müssen darüber aufklären, dass Videoanlagen nicht schützen, sondern dokumentieren – vor allem aber vor Gefahr für die Demokratie warnen, wenn eine Bevölkerung sich an permanente Überwachung gewöhnt.

Roman Peters ist aktiv bei der Initiative »Die Datenschützer Rhein Main«

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