Massenmord mit »Mut und Stärke«
Von Ina Sembdner
Das Ziel für die ultrarechte Regierung in Jerusalem ist klar: Gaza-Stadt soll dem Erdboden gleichgemacht werden. Um das zu erreichen, hat das israelische Militär seit Beginn der Woche seinen Vormarsch Richtung Zentrum der Stadt, in der rund eine Million Palästinenser ausharren, deutlich ausgeweitet. Zu dem von Premier Benjamin Netanjahu als »entscheidende Phase« deklarierten Einsatz hieß es am Dienstag von seiten des Generalstabschefs Eyal Zamir: »Wir betreten bereits Orte, die wir noch nie zuvor betreten haben.« Und um die neu mobilisierten Reservisten, vor denen er auf der Nachschonim-Basis sprach, auf die zukünftige Aufgabe einzuschwören, erklärte er: Man agiere dort mit »Mut, Stärke, Tapferkeit und einem außergewöhnlichen Geist«. In diesem Sinne wurden am Mittwoch erneut mindestens 24 Palästinenser getötet, die meisten davon in Gaza-Stadt. Berichten zufolge bereitet Israel die vollständige Übernahme der größten palästinensischen Stadt für Mitte September vor.
Bis dahin wird das weitere Vorrücken der Soldaten und Panzer flankiert von umfassender Zerstörung – ausgeführt unter anderem durch sprengstoffbeladene ferngesteuerte Militärfahrzeuge. Rund 300 Wohneinheiten werden auf diese Weise täglich zerstört, wie die in Genf ansässige Menschenrechtsorganisation Euromed-Monitor am Montag berichtete. Seit Israel am Freitag die »vorübergehende humanitäre Feuerpause« auch offiziell für beendet erklärt hat, habe deren Feldteam »eine Verdopplung der Zahl der gezündeten Sprengstoffroboter von etwa sieben auf fast 15 pro Tag dokumentiert«. In diesem Tempo würde die Stadt innerhalb von zwei Monaten ausradiert. Parallel dazu erhöhe der Einsatz dieser Roboterfahrzeuge den Druck auf die verbliebenen Einwohner und Vertriebenen, die Stadt zu verlassen. Die Armee führt die Sprengungen, die bis zu 40 Kilometer weit zu hören seien, demnach bewusst in der Nacht oder in der Morgendämmerung aus, um Angst und Panik unter den Palästinensern zu schüren. Auch der Einsatz dieser Sprengroboter stelle ein Kriegsverbrechen dar, denn dabei »handelt es sich um Waffen, die von Natur aus wahllos wirken und nicht in der Lage sind, militärische Ziele präzise anzugreifen«.
Fliehen sollen die Menschen in die sogenannte humanitäre Zone im Süden der abgeriegelten Enklave in Al-Mawasi – eine Zeltstadt ohne ausreichende Versorgung, deren Überfüllung zudem täglich zunimmt. Die Armee ziele dort mit Scharfschützen auf die Zelte, gebe »willkürlich Schüsse aus Drohnen und in der Nähe befindlichen Militärfahrzeugen« ab und führe Luftangriffe auf die als sicher deklarierte Zone durch, berichtete Euromed-Monitor am Mittwoch. Von Soldaten selbst veröffentlichte Videos belegten demnach, dass sie aus Vergnügen auf die Zivilisten schössen oder auf die Zielgenauigkeit wetteten. Am Montag wurde so etwa eine junge zweifache Mutter getötet, während sie in ihrem Zelt Tee zubereitete – ein Quadkopter löschte ihr Leben vor den Augen ihrer beiden Kinder, deren Vater bereits vor dem 7. Oktober 2023 bei einem Luftangriff nahe Rafah getötet worden war, mit einem Kopfschuss aus.
Und während die beiden Waisen dieses Mal mit dem Leben davongekommen sind, hatten mehr als 50.000 Kinder, die im Krieg verletzt oder getötet wurden, weniger Glück. Mindestens 21.000 von ihnen werden – sofern sie den Vernichtungskrieg überleben werden – eine Behinderung davontragen. Dies teilte der UN-Ausschuss zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen am Mittwoch in Genf mit. Dabei müssen bereits vier von fünf Menschen mit Behinderung ohne entsprechende Hilfsmittel auskommen. Verschärft wird die Situation dadurch, dass Rollstühle, Prothesen und ähnliche Gegenstände von der israelischen Führung als sogenannte Dual-Use-Güter eingestuft werden und somit nicht mit anderen Hilfsgütern in den Gazastreifen gelangen.
Da mit der Ausweitung des Krieges auch die Überlebenschancen der 22 noch lebend vermuteten Geiseln schwinden, wächst auch in Israel der Widerstand gegen die Regierung. Am Mittwoch riefen Hunderte Angehörige und Demonstranten einen sogenannten Tag der Störung aus und verurteilten auf dem Weg vom Parlament zur Residenz Netanjahus in Jerusalem die Einberufung von Zehntausenden Reservisten. Großproteste wurden für den Abend und den kommenden Sonnabend ausgerufen.
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