Wer kritisiert, verschwindet
Von Thomas Berger
Der 28. August war für die Angehörigen von Felix Salaveria Jr., besonders seine beiden Töchter, ein schwerer Tag. Genau ein Jahr war es an diesem Datum her, dass ihr Vater entführt wurde. Seither fehlt von dem Menschenrechtsanwalt jedes Lebenszeichen. Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen, wie Salaveria zu Fuß unterwegs ist, als plötzlich ein grauer Minibus neben ihm anhält. Zwei Personen springen heraus, zerren ihn ins Innere. Nur einen Augenblick später ist der Van verschwunden. Was im ersten Moment wie ein »klassischer« Entführungsfall anmutet, steht im Kontext einer Kampagne des philippinischen Staates gegen Regierungskritiker. Sie betrifft Gewerkschafter, Umweltschützer, Menschenrechtsanwälte, die Anführer der Studierendenbewegung und bäuerliche sowie indigene Aktivisten – sie alle schweben potentiell in Gefahr.
»Wie man mit Widerspruch und Widerstand in unserem Land umgeht, daran hat sich auch in der Zwischenzeit wenig geändert«, hatte schon im Februar Ephraim Cortez im jW-Gespräch gesagt. Der Präsident der Juristenvereinigung National People’s Union of Progressive Lawyers meinte damit die Präsidentschaft von Ferdinand Marcos Junior, der 2022 die Macht von Rodrigo Duterte übernahm. Unter Duterte hatte es auf den Philippinen einen entfesselten »Krieg gegen Drogen« gegeben, unter dessen Vorwand Todesschwadronen Tausende Filipinos umbrachten. Für Menschenrechtsanwälte sei es gerade in ländlichen Gebieten nicht sicher.
Salaveria ist bereits der 15. »Verschwundene« seit Marcos’ Amtsantritt. Erst fünf Tage zuvor, am 23. August 2023, hatte Salavaria seinen 66. Geburtstag mit seinem Kollegen James Jazmines in Tabaco City auf dem südöstlichen Ausläufer der Hauptinsel Luzon gefeiert. Auf dem Heimweg mit dem Fahrrad wurde Jazmines auf nahezu gleiche Art wie kurz darauf sein Freund entführt – erst angehalten, dann in einen Van gestoßen. Am nunmehr 67. Geburtstag ihres Vaters sprachen die Töchter Gab und Felicia Ferrer mit einer Gruppe Reporter und kritisierten dabei das komplette Staatsversagen bei der Aufklärung des Falles. Zwar hatte ein Berufungsgerichtshof schon am 21. Juli hochoffiziell festgestellt, dass sich die philippinische Polizei bei der Auswertung von Spuren und Erkenntnissen wie dem erwähnten Video keine Mühe gegeben hat. Das Urteil erging auch mit dem eindeutigen Auftrag an die Polizei, eine tiefgreifende Untersuchung einzuleiten. Über den juristischen Erfolg, wurden die Töchter vom Newsportal Rappler zitiert, könnten sich die Familien aber kaum wirklich freuen, da real wohl nichts daraus folge.
Salaveria hatte sich unter anderem für die Rechte Indigener und für mehr Umweltschutz eingesetzt. Er gehörte als begeisterter Radler zudem zu den Gründern der Gruppe Cycling Advocates, die sich für klimafreundliche Mobilität einsetzt. Offenbar stand er auch schon länger unter Beobachtung und gehörte zu jenen, denen ohne jegliche Beweise eine Verbindung zu »terroristischen kommunistischen Gruppierungen« unterstellt wird. Auf den Philippinen hat sich dafür der Begriff »red-tagging« etabliert.
Das Onlinemedium Bulatlat zitierte am 30. August, dem internationalen Tag der Verschwundenen, Edita Burgos, die Vorsitzende der International Coalition Against Enforced Disappearance (ICAED): »Jede Mutter, jede Familie der Verschwundenen lebt in einem Gefängnis der Ungewissheit. Unsere Lieben sind weg – aber unser Kampf für ihre Wiederkehr ist nicht beendet.« Die internationale Gemeinschaft müsse sicherstellen, dass diese Fälle zwangsweisen Verschwindens endlich aufhören. ICAED und andere Organisationen fordern deshalb von den Philippinen, die Fälle aufzuklären und gefährdete Personen zu schützen. Danach sieht es unter dem noch bis 2028 regierenden Marcos mit seinen rechtskonservativen Netzwerken jedoch nicht aus. Der Inselstaat ist auch der Konvention gegen erzwungenes Verschwinden bisher nicht beigetreten.
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