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Aus: Ausgabe vom 04.09.2025, Seite 7 / Ausland
USA drohen Venezuela

Beschuss ohne Beweise

Washington behauptet Abschuss eines Schmugglerboots vor venezolanischer Küste. Caracas spricht von Fake, während Rechte auf Invasion hoffen
Von Volker Hermsdorf
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Schmuggler, Sportler oder Urlauber? Elf Tote infolge des Beschusses durch die US-Marine (Venezuela, 2.9.2025)

Die USA haben nach Angaben von Außenminister Marco Rubio und Präsident Donald Trump vor der Küste Venezuelas ein Schnellboot durch einen »tödlichen Präzisionsschlag« zerstört und dabei elf angebliche Drogenschmuggler getötet. Der von Caracas als durch künstliche Intelligenz manipulierte Falschmeldung bezeichnete Vorfall verschärft die angespannte Lage in der Region. Während rechte Oppositionelle jubelnd eine US-Invasion in Venezuela forderten, sprach Kolumbiens Präsident Gustavo Petro von eiskaltem Mord, sofern die Behauptungen Washingtons zutreffen.

Widersprüchliche Informationen wecken allerdings Zweifel an der Glaubwürdigkeit der offiziellen Version. »Wir haben soeben ein Boot voller Drogen ausgeschaltet – und es wird nicht das letzte sein«, hatte Trump am Dienstag (Ortszeit) erklärt. Auf seiner Plattform Truth Social verbreitete er ein Video, das die Explosion auf hoher See zeigen soll. Die Fracht des angeblichen Schmugglerbootes sei für die USA bestimmt gewesen. Doch wenige Stunden später behauptete US-Außenminister Marco Rubio, das Boot sei vermutlich auf dem Weg nach Trinidad und Tobago oder in ein anderes Karibikland gewesen. Konkrete Beweise über Herkunft, Route, Besatzung und Ladung legte Washington nicht vor. Vertreter der Marine, der Küstenwache und des Southern Command konnten auf Nachfrage des Fachportals USNI News keine Details über den angeblichen »Präzisionsschlag« nennen.

Auch Caracas äußerte erhebliche Zweifel an Washingtons Darstellung. Kommunikationsminister Freddy Ñáñez warf Rubio vor, ein manipuliertes Video zu präsentieren. Eine technische Analyse habe ergeben, dass die Bilder sehr wahrscheinlich mit künstlicher Intelligenz erzeugt worden seien. Die britische Nachrichtenagentur Reuters will bei einer ersten Überprüfung zwar keine Anzeichen für eine Manipulation entdeckt haben, räumte jedoch ein, dass die Aufnahmen genauer geprüft werden müssten. Es sei ferner »höchst ungewöhnlich, ein mutmaßliches Drogenboot, das durch die Karibik fährt, in die Luft zu sprengen, anstatt das Boot zu beschlagnahmen und seine Besatzung festzunehmen«. Der bloße Verdacht, Drogen zu transportieren, rechtfertige keine Todesstrafe, zitierte Reuters Adam Isacson, den Direktor für Verteidigungsaufsicht beim Thinktank Washington Office on Latin America.

»Wenn das wahr ist, ist es überall auf der Welt Mord«, kritisierte auch Kolumbiens Präsident Gustavo Petro. »Wir haben jahrzehntelang Zivilisten, die Drogen transportierten, gefasst, ohne sie zu töten. Diejenigen, die den Transport durchführen, sind nicht die großen Bosse, sondern die sehr armen Jugendlichen der Karibik und des Pazifiks«, schrieb Petro auf X. Venezolanische Contras griffen die Meldung dagegen begeistert auf. Die ultrarechte Oppositionsführerin Corina Machado feierte sie als »Sieg«. Bei einem Auftritt in Panama erklärte sie, die »Schlinge um das Narco-Terroristenkartell in Miraflores« (Präsidentenpalast) ziehe sich enger zusammen. Ricardo Contreras, Sprecher einer Exilgruppe in Panama, fügte hinzu, eine US-Invasion sei zwar »nicht der Weg, den wir uns wünschen«, rechtfertigte sie aber: »Alle anderen Mittel sind erschöpft.«

Die Hoffnungen der Rechten werden durch ein US-Marineaufgebot in der Karibik genährt. Acht Kriegsschiffe mit Raketenbewaffnung, ein Atom-U-Boot und mehr als 4.500 Soldaten wurden nahe der venezolanischen Küste stationiert – offiziell zum Kampf gegen den Drogenhandel. Präsident Nicolás Maduro warnte, sein Land stehe vor der »größten Bedrohung, die Amerika in den letzten hundert Jahren gesehen hat«. Venezuela werde »zu den Waffen greifen«, sollte es angegriffen werden. Während die USA mit ihrer Kanonenbootpolitik die Drohungen gegen die gewählte Regierung in Caracas verschärfen, leistet Venezuela humanitäre Hilfe. Am Sonnabend traf das Versorgungsschiff »Manuel Gual« mit 6.100 Tonnen Lebensmitteln im kubanischen Hafen Mariels ein – ein Beispiel für regionale Solidarität innerhalb der ALBA-Staaten und ein Kontrastprogramm zu Washingtons Aggressionskurs.

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