Menschenrechte geliefert
Von Ralf Wurzbacher
Man kann überzeugt sein, dass Menschenrechte wichtig und schützenswert sind. Oder man nennt sie ein »bürokratisches Ungetüm«. Union und SPD stehen für die zweite Option. Am Mittwoch gab das Bundeskabinett grünes Licht für weitreichende Änderungen des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Zentrale Vorgaben wie eine Berichtspflicht von Unternehmen werden abgeräumt, Sanktionen auf ein Minimum reduziert und nur noch bei schweren Verstößen wirksam. Die deutsche Wirtschaft ist trotzdem unzufrieden. Statt das Regelwerk »wie mehrfach versprochen abzuschaffen, wird es in seiner Belastungswirkung bestätigt«, sagte am Dienstag der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, der Deutschen Presseagentur.
Anders sieht das Armin Paasch vom katholischen Hilfswerk Misereor. In einer Medienmitteilung sprach er von einem »völkerrechtlich unzulässigen Rückschritt« und einer »offenen Einladung, es mit den Menschenrechten nicht mehr so genau zu nehmen«. Ein vielversprechendes Projekt drohe »als Papiertiger zu enden«. Das lässt sich zuspitzen: Ein bisher schon ziemlich zahnloses Regelwerk ist demnächst praktisch komplett für die Katz. Zu Jahresbeginn 2023 in Kraft getreten, galt es zunächst für kümmerliche 600 Unternehmen, seit 2024 dann für höchstens 3.000 mit einer Mitarbeiterzahl von 1.000 und mehr. Es soll sicherstellen, dass bei der Fertigung von Produkten, die im Ausland für den deutschen Markt hergestellt werden, bestimmte Arbeits- und Umweltstandards eingehalten, Menschen also nicht ausgebeutet, gequält, versklavt, entrechtet und ihrer Lebens- und Überlebensgrundlagen beraubt werden. Allerdings bestehen neben der quantitativen Beschränkung allerhand weitere Schlupflöcher. So sind etwa umweltbezogene Pflichten wie Biodiversität und Auswirkungen aufs Klima gar nicht berücksichtigt.
Gleichwohl hat das LkSG laut Misereor »konkrete Verbesserungen für Betroffene« gebracht. Beispielsweise musste auf seiner Grundlage der Handelsriese Rewe Vorkehrungen treffen, damit in einem ecuadorianischen Zulieferbetrieb die Löhne für Bananenarbeiter auf ein Niveau angehoben wurden, das zum Leben reicht. »Erfolge« attestiert dem Instrument auch die »Initiative Lieferkettengesetz«, ein breites Bündnis aus Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen.
»Statt das Gesetz weiter zu schärfen und dessen Wirksamkeit zu erhöhen, entscheidet sich die neue Bundesregierung für eine Rolle rückwärts«, monierte am Mittwoch Sprecherin Sofie Kreusch und forderte das Parlament auf, »diesen Fehler zu korrigieren«. Kritik der unglaubwürdigen Art kommt wie so oft von Bündnis 90/Die Grünen. Der Vizechef der Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch, ereiferte sich gestern im ARD-Hauptstadtstudio über ein »Armutszeugnis«. Der Vorgang sei ein Signal, dass Menschenrechte für Friedrich Merz (CDU) »offensichtlich keine größere Rolle mehr« spielten.
Noch im Juni 2024 hatte Audretschs Parteifreund Robert Habeck als Bundeswirtschaftsminister vorgeschlagen, das LkSG für zwei Jahre auf Eis zu legen, bis eine übergeordnete Bestimmung für die ganze EU zur Geltung komme. Habeck damals im Wortlaut: »Das wäre das Beste. Ich halte das für absolut vertretbar.« In der Zwischenzeit wurde die fragliche EU-Richtlinie, die davor schon hinter die windelweichen Klauseln des deutschen Pendants zurückfiel, vollends ausgehöhlt. Im Falle der Umsetzung fielen nur mehr Konzerne mit mehr als 5.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz ab 1,5 Milliarden Euro in den Anwendungsbereich. Wobei sie lediglich über das Geschäftsgebaren ihrer direkten Handelspartner zu wachen hätten, nicht länger über das von Subunternehmern. Nach den Plänen unterlägen künftig bloß noch 276 deutsche Unternehmen den Regularien. Ende Juni hatte die BRD für diese Marschrichtung im Ministerrat ihr Okay gegeben.
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