Kriegsdienst? Nein, danke
Von Kristian Stemmler
Mehr junge Menschen für den Wehrdienst gewinnen – das ist das Ziel eines Gesetzentwurfes, den die Bundesregierung vor einer Woche verabschiedet hat. Der erste Effekt des Kabinettsbeschlusses ist allerdings ein ganz anderer: Beratungsstellen für Kriegsdienstverweigerung (KDV) verzeichnen in den vergangenen Tagen wachsenden Zulauf. Der könnte sogar noch zunehmen, da junge Männer für das Ignorieren des von der Bundesregierung geplanten Fragebogens sanktioniert werden können, wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Mittwoch in der Bundespressekonferenz in Berlin auf jW-Nachfrage bestätigte.
Wenn das Thema Wehrdienst und Wehrpflicht in den Medien sei, steige die Zahl der Anfragen, erklärte Michael Schulze von Glaßer, politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), am Dienstag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). So sei das in der vergangenen Woche auch gewesen und »ist auch noch nicht abgeebbt«. Allein die Website der DFG-VK, die mit dem Spruch »Den neuen Wehrdienst verweigern? So geht’s!« aufgemacht ist, zählte Schulze von Glaßer zufolge im August 54.946 Aufrufe. Im Mai waren es mit 24.151 nur rund halb so viele.
Der Kabinettsbeschluss habe bei ihnen zu einem »Strategiewechsel« geführt, sagte der DFG–VK-Geschäftsführer. Denen, die noch nichts mit der Bundeswehr zu tun hatten, habe man bisher empfohlen, keinen Verweigerungsantrag zu stellen, da sie dann zur Musterung eingeladen worden wären. Seit vergangener Woche werde allen jungen Menschen empfohlen, einen solchen Antrag zu stellen, da sie infolge des neuen Wehrdienstgesetzes ohnehin gemustert werden.
Auch die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) hat mehr zu tun. Die Wehrpflichtdebatte habe die Zahl der Beratungsanfragen bereits im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent ansteigen lassen, hieß es dort laut RND. Derzeit sind acht Beraterinnen für die EAK tätig.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der KDV-Anträge kontinuierlich angestiegen. Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben erfasste 2022 noch 951 Anträge zur Anerkennung auf Kriegsdienstverweigerung, 2023 waren es 1.079 und 2024 schon 2.241. In der ersten Jahreshälfte 2025 verzeichnete das Bundesamt 1.363 Anträge. Würde man die Zahl auf das Gesamtjahr hochrechnen, läge sie bei 2.726. Aktive Bundeswehr-Soldaten können Anträge ebenso stellen wie Reservisten und Ungediente. Zuletzt lag die Gruppe der Reservisten unter den Antragstellern jeweils vorn.
Bei der Jugend gehen die Meinungen über den Wehrdienst offenbar auseinander. Einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage der Liz-Mohn-Stiftung zufolge plädieren 53 Prozent der teilnehmenden Zwölf- bis 18jährigen zwar für einen allgemeinen, frei wählbaren Pflichtdienst; 49 Prozent sprachen sich aber dafür aus, dass dieser Dienst nicht zwingend bei der Bundeswehr geleistet werden sollte. Bemerkenswert: 59 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass sich Deutschland aus Problemen, Krisen und Konflikten anderer Staaten heraushalten sollte. 66 Prozent befürworteten konkret, dass Deutschland während eines internationalen Handelskonflikts zwischen China und den USA neutral bleiben sollte.
Für einen Pflichtdienst für alle sprach sich auch der Wehrbeauftragte des Bundestages, Henning Otte, aus. Dieser könne bei der Bundeswehr abgeleistet werden, aber auch »in Blaulicht-Organisationen, kulturell, sportlich, ehrenamtlich«, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch gegenüber Bild. »Sich einbringen zu können, aber auch ein Benefit dafür zu bekommen und damit die Gesellschaft wieder stärker zusammenzuführen«, das sei ein »großes staatspolitisches Ziel«, führte Otte aus.
Die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, Gerda Hasselfeldt, beklagte sich indes über das Anschreiben, das laut dem Gesetzentwurf alle jungen Männer und Frauen ab 18 Jahren samt Fragebogen zugesandt bekommen sollen. In dem Text sei »kein einziger Satz zu einem sozialen Dienst« vorgesehen, sagte Hasselfeldt der Rheinischen Post. Viele seien bereit, sich zu engagieren, aber es fehle schlicht am Wissen, wo dies sinnvoll möglich wäre. Das Anschreiben könne hier leicht für Abhilfe sorgen.
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