Schmerzliche Ohrfeige für Trump
Von Jörg Kronauer
Das Foto saß. In der Mitte stand Indiens Premierminister Narendra Modi; mit seiner linken Hand hatte er die rechte des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, mit seiner rechten die linke des russischen Präsidenten Wladimir Putin ergriffen. Vor dem Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), an deren Rande das Bild am Montag aufgenommen wurde, hatten Beobachter spekuliert, ob Modi sich mit Putin und Xi gemeinsam ablichten lassen würde. Die Einschätzung überwog, er werde dies wohl unterlassen, um US-Präsident Donald Trump nicht übermäßig zu provozieren. Das war, wie sich zeigen sollte, ein klarer Irrtum. Modis symbolischer Schulterschluss mit Putin – mit dessen Staat Indien laut Trumps Willen nicht mehr kooperieren soll – und mit Xi – dessen Land der US-Präsident ganz offen bekämpft – war eine schmerzliche Ohrfeige für den sich als Weltenherrscher sehenden im Weißen Haus.
Gedeihlich kooperieren
Vor allem zweierlei bleibt vom Gipfeltreffen der SOZ, das am Sonntag und am Montag in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin stattfand; und beides hängt miteinander zusammen. Das eine: Die SOZ soll stärker werden, soll sich ökonomisch besser integrieren. Dafür setzt sich insbesondere China ein. So hat Xi vorgeschlagen, eine SOZ-Entwicklungsbank zu schaffen, und er hat angekündigt, Beijing werde Plattformen für die Kooperation mit der SOZ in Energie-, Klima- und Industriefragen einrichten. Zudem gab er bekannt, die Volksrepublik biete allen Mitgliedstaaten, die dies wünschten, Zugang zum chinesischen Satellitennavigationssystem Beidou. Darüber hinaus gewähre sie SOZ-Ländern in den kommenden drei Jahren Kredite in Höhe von 1,4 Milliarden US-Dollar. Xi empfahl zudem – auch mit Blick auf die Trumpschen Zölle –, die SOZ-Staaten sollten sich in Zukunft stärker auf ihre eigenen riesigen Absatzmärkte fokussieren. All dies soll zu intensiverer wirtschaftlicher Integration der SOZ beitragen, der Organisation größere Geschlossenheit verleihen und – Beispiel Beidou – die Abhängigkeit ihrer Mitglieder von den USA, in diesem Fall von deren GPS-System, verringern.
Ob es gelingt, die SOZ zu stärken? Ein Beispiel für die Widersprüche in der Organisation bieten etwa die dauerhaft miserablen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten Indien und Pakistan, die im Mai sogar in einen kurzen Krieg mündeten. Indien dringt nun darauf, dass die SOZ ihre Terrorbekämpfung – eines ihrer Gründungsziele – ernster nimmt: Neu-Delhi startete den Krieg mit Angriffen auf mutmaßliche Täter eines Anschlags im indischen Teil Kaschmirs, die laut indischer Überzeugung unbehelligt von Pakistan aus operieren konnten. Probleme wie dieses wird die SOZ umfassender angehen müssen, soll sie schlagkräftiger werden. Für Beijing gehe es dabei um viel, erläuterte Alfred Wu, Professor an der Lee Kuan Yew School of Public Policy in Singapur. Es wolle nichts Geringeres als »eine alternative Weltordnung« etablieren, »denn die US-geführte Weltordnung befindet sich stark im Niedergang«. Chinas Plan stößt auf Zustimmung in Russland. Putin stimmte zu, die SOZ könne »eine führende Rolle bei den Bemühungen« einnehmen, »ein gerechteres und gleicheres System der Gestaltung der Welt zu schaffen«.
Auf jeden Fall wächst die SOZ. Am Montag verlieh sie Laos den Status eines Partnerstaates. Diesen Status – er fasst ihre früheren Beobachterstaaten und Dialogpartner zusammen – hat sie in Tianjin neu eingeführt und bereits 17 Länder haben ihn nun inne. Für den Wunsch, die SOZ zu stärken, ist dabei zentral, dass die Mitgliedstaaten gedeihlich kooperieren. Die Voraussetzungen dafür, und dies ist das zweite Element, das vom SOZ-Gipfel bleibt, haben sich in Tianjin spürbar verbessert. Denn dort hat sich gezeigt, dass der Versuch der Trump-Regierung, einen Keil zwischen Russland und Indien zu treiben, zumindest vorerst krachend gescheitert ist. Trump hatte zusätzliche Strafzölle in Höhe von 25 Prozent auf Importe aus Indien verhängt, weil Neu-Delhi nicht bereit war, seine Energie- und Rüstungseinfuhren aus Russland einzustellen. Premierminister Modi weigerte sich nicht nur, das zu tun. In Tianjin ließ er sich auch mehrfach gemeinsam mit Putin ablichten. »In den schwierigsten und herausforderndsten Zeiten haben Indien und Russland immer zueinandergehalten«, sagte er, um dann mitzuteilen, er werde den russischen Präsidenten noch in diesem Jahr in Indien empfangen und erwarte diesen Besuch »mit Spannung«.
Strich durch die Rechnung
Für Washington kam es in Tianjin sogar noch schlimmer als das. Nicht nur, dass Modi und Putin sich demonstrativ umarmten; Modi vollzog auch eine Annäherung an China, an genau das Land also, das für die Vereinigten Staaten der Hauptgegner ist und gegen das sie auf Indien als wichtigen Verbündeten setzen. An der Realisierung dieses Plans haben mehrere US-Präsidenten seit mehr als zwei Jahrzehnten gearbeitet. Modi sprach in Tianjin mit Xi, teilte mit, die Beziehungen zwischen Indien und China entwickelten sich in eine »bedeutsame Richtung«, und lobte, an der umstrittenen Grenze zwischen beiden Ländern entwickele sich zur Zeit eine »friedliche Umgebung«. Xi wiederum riet, man solle »nicht die Grenzfrage allein die gesamten Beziehungen zwischen China und Indien definieren« lassen und sich lieber mehr auf die jeweilige wirtschaftliche Entwicklung fokussieren. Illusionen sollte man sich trotzdem besser keine machen: Ernste Interessendivergenzen zwischen Neu-Delhi und Beijing bestehen weiter. Aktuell haben beide Seiten aber Interesse, sie zu dämpfen, und das funktioniert vorläufig – zugunsten der SOZ.
Und das Foto, auf dem Modi, Xi und Putin zu sehen sind? Trump hatte vor, Russland aus seinem Bündnis mit China zu lösen, einen Keil zwischen Russland und Indien zu treiben und Indien zu Aggressionen gegen China zu motivieren. Das am Montag aufgenommene Foto zeigt: Nichts davon ist gelungen. Ganz im Gegenteil – alle drei Staaten arbeiten gemeinsam auf die Ablösung der US-dominierten Weltordnung hin.
Hintergrund: Militärparade als Gesprächsplattform
Die Gipfeldiplomatie, die am Rande des SOZ-Gipfels in Tianjin betrieben wurde, hat sich auch bei der anschließenden Militärparade am Mittwoch in Beijing fortgesetzt. Dort trafen die Staats- und Regierungschefs mehrerer Länder ein, die in Tianjin, mangels Mitgliedschaft in der SOZ nicht vertreten waren. Einer von ihnen war Serbiens Präsident Aleksandar Vučić. Er sprach unter anderem bei Chinas Präsident Xi Jinping vor, nicht zuletzt, um einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern zu diskutieren. Zudem konferierte er mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Jüngst hatte es wegen mutmaßlicher – wenn auch von Vučić abgestrittener – serbischer Waffenlieferungen an die Ukraine Spannungen zwischen Moskau und Belgrad gegeben. Was immer Putin und Vučić in Beijing im Detail ausdiskutierten: Vučić wies nach dem Treffen entschuldigend auf den gewaltigen Druck hin, unter dem Belgrad in puncto Ukraine-Krieg gestanden habe. Putin lobte seinerseits Serbiens fortdauernde »Neutralität«.
Zur Militärparade angereist war unter anderem auch Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un. Kim, der Russland im Ukraine-Krieg mit der Entsendung von Soldaten und Waffen massiv unterstützt hat, konferierte russischen Medien zufolge rund zweieinhalb Stunden lang mit Putin. Putin lud ihn im Gegenzug für die wichtige nordkoreanische Unterstützung zu einem Besuch in die russische Hauptstadt ein. Kim führte zudem Gespräche mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, den er seinerseits zu einer Reise nach Nordkorea einlud. Auch ein Treffen mit Xi war geplant sowie allerlei informelle Zusammenkünfte mit Staats- und Regierungschefs weiterer Länder. Der Besuch der Militärparade war Kims erste Auslandsreise zu einem multilateralen Treffen seit seinem – gescheiterten – Versuch im Jahr 2019, mit Trump während dessen erster Amtszeit nicht nur ins Gespräch, sondern auch ins politische Geschäft zu kommen. Dass er sich an der Seite sowohl Putins als auch Xis fotografieren lassen durfte, rundete seinen Erfolg aus nordkoreanischer Sicht ab. (jk)
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Leserbrief von Dr. Kai Merkel aus Möhnesee (4. September 2025 um 09:48 Uhr)Endlich mal wieder gute Nachrichten. BRICS ist die Zukunft mit Anspruch, wieder das Völkerrecht zu achten. Wir, der Westen, wollen es nicht kapieren. Wir agieren wie willkürlich herrschende Mafiastaaten mit Strafzöllen, Sanktionen und Krieg. Wir tragen unsere »wertebasierte Ordnung« (sic) vor uns her, die genau dann gilt, wenn wir sie gerade brauchen, um unsere Machtinteressen durchzusetzen. Wie unsere Reaktion auf die schlimmsten Kriegsverbrechen in Gaza gerade sehr traurig und armselig verdeutlicht. Ich hoffe, SOZ macht schnell Nägel mit Köpfen. Der »Wertewesten« (sic) ist sicherlich schon dabei, an Modis Stuhl zu sägen. Bekommen wir auch bald Berichte in der »Qualitätspresse« (sic), wie schlimm es um die Menschenrechte in Modis Indien bestellt ist? Muss bald eine transatlantisch geprägte Opposition unterstützt werden? Wie in Taiwan oder Venezuela? Die transatlantische »Teile und herrsche«‑Politik ist so alt und gleichzeitig heute so berechenbar und offensichtlich geworden. Kein Wunder, dass sich immer mehr Länder vom »Wertewesten« abwenden. Richtig so. Soll »BRICS plus« aufblühen, während wir zurückfallen, bis wir unsere Mafiapolitik aufgeben.
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