»Die USA haben unser Öl immer als ihres betrachtet«
Interview: Frederic Schnatterer
Zuletzt hat die US-Regierung die Spannungen mit der venezolanischen Regierung stark angeheizt und Kriegsschiffe vor die Küste Venezuelas verlegt. Steht eine Intervention unmittelbar bevor?
Ich glaube nicht, dass eine Militärintervention in Venezuela unmittelbar bevorsteht. Sowohl bei den Demokraten als auch den Republikanern gibt es zwar Gruppen, die die militärische Konfrontation mit Venezuela suchen. Doch Donald Trump geht es derzeit vor allem darum, den Fall Venezuela für ein größeres Ziel zu nutzen: Er will den südlichen Teil der Karibik militarisieren. Es geht um die Einschüchterung des Teils der Region, der danach strebt, unabhängig vom Norden miteinander zu kooperieren. Aber die Welt hat sich verändert. Es wird nicht mehr so einfach akzeptiert, dass Washington Kriegsschiffe schickt und mit militärischer Gewalt droht, um seinen Einflussbereich abzusichern.
Es ist aber bestimmt kein Zufall, dass die USA ihre Drohkulisse vor der Küste Venezuelas aufbauen.
Venezuela ist ein Rohstoffland. Früher kamen von hier Gold und auch landwirtschaftliche Produkte. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist der Erdölsektor unangefochten der wichtigste Wirtschaftszweig. Bereits vor hundert Jahren, von 1918 bis 1928, wurden allein im westlichen Bundesstaat Zulia 264 Millionen Barrel Öl gefördert. Das entsprach rund 300 Millionen US-Dollar, von denen gerade einmal drei Prozent in Venezuela blieben. Der gesamte Rest ging nach Nordamerika.
Das ist der Zustand, zu dem die USA zurückwollen. Sie wollen ihre Ölversorgung diversifizieren und auch die beträchtlichen venezolanischen Gasvorkommen kontrollieren. Außerdem ist Venezuela geographisch strategisch gut gelegen. Unser politisches System hingegen ist Washington völlig egal. Das zeigt sich allein daran, dass in den vergangenen Monaten immer wieder fruchtbare Dialoge und Verhandlungen möglich waren.
Noch bis vor kurzem schien es tatsächlich, als näherten sich die US- und die venezolanische Regierung an. Vor einem Monat beispielsweise erteilte Trump dem Konzern Chevron eine Sonderlizenz zur Rückkehr nach Venezuela.
In den USA werden heute rund 17 Millionen Barrel am Tag gefördert. Das ist zwar Rekord, aber die Vereinigten Staaten wollen immer mehr. Chevron ist seit mehr als hundert Jahren in Venezuela aktiv. Ob das Unternehmen eine Lizenz bekommt oder ihm diese entzogen wird, liegt im Ermessen der US-Behörden. Die setzen das Mittel ein, um Druck aufzubauen – auf völlig missbräuchliche Art und Weise. Es geht hier nicht um gut oder schlecht, sondern schlicht und einfach um Wirtschaftsinteressen. Letztlich schaden die USA damit nicht nur Venezuela, sondern auch vielen anderen Ländern, denen sie ihre Politik aufzwingen, beispielsweise in Europa.
Was ergibt sich daraus für den venezolanischen Erdölsektor?
1974 wurde in Venezuela mit 3,8 Millionen Barrel am Tag so viel Erdöl gefördert wie nie. Als US-Präsident Obama 2015 die Sanktionen gegen Venezuela auf den Weg brachte, waren es immer noch 3,45 Millionen Barrel. Die Sanktionen haben den globalen Ölmarkt komplett aus dem Gleichgewicht gebracht. Washington hindert Venezuela daran, Geschäfte mit anderen Ländern zu machen. Das hat beträchtliche Folgen – wir verfügen mit einem Anteil von rund 20 Prozent über die größten Reserven der Welt. 26 Prozent der weltweiten Ölvorkommen stehen unter Sanktionen.
In einem Interview mit dem TV-Sender Telesur haben Sie kürzlich erklärt, der venezolanische Ölsektor erlange allmählich wieder seine alte Bedeutung.
Bei uns liegen die Ölreserven für die nächsten Jahrzehnte. In unserem Bestreben, unabhängig über diese Reserven zu entscheiden, müssen wir uns leider mit den großen Konzernen, mit den Vereinigten Staaten, aber auch mit Europa anlegen. Wir wollen ein Modell und eine Struktur, die anders ist als im vergangenen Jahrhundert. Die USA haben unser Öl immer als ihre Ressource betrachtet. Dagegen kämpfen wir. Wir werden unseren Ölsektor nicht herschenken, denn in Venezuela gibt es keine Ära nach dem Öl. Zwar haben wir auch andere Güter und Produktion, aber Venezuelas Stärke ist das Öl.
Miguel Jaimes ist Politologe und leitet das internationale Studienprogramm »Geopolitik des Erdöls« in Venezuela
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