Desillusionierung
Von Susanne Knütter
Die Illusion, eine Subventionierung der Kriegsindustrie sei möglich, und alles andere bleibe so, wie es ist (und zwar bescheiden), wurde eine Zeit lang aufrechterhalten. Vor allem deshalb, weil die exzessive Aufrüstung zunächst über Schulden und nicht über Steuern finanziert wird. Nicht zuletzt die Gewerkschaftsvorstände sahen jede Menge Chancen in dem gegen Hochrüstung erkauften Infrastrukturpaket.
Der Wind hat sich gedreht. Das ordoliberale Ifo-Institut lieferte am Montag eine Studie, die die Unausweichlichkeit von »Reformen« angesichts der steigenden Zinslast belegen soll. Wo gekürzt werden soll, schreit die Springer-Presse inzwischen jeden Tag in die Welt. Und das betrifft längst nicht mehr »nur« Bürgergeld, Löhne und Renten. Inzwischen ist die Rede von jährlich 800 Euro Eigenleistung im Krankheitsfall. Die eigene Pflege soll man im Ernstfall bis zu einem Jahr lang selbst zahlen.
Statements von einer Eva Maria Welskop-Deffaa sind dagegen Peanuts. Die Caritas-Präsidentin hat am Dienstag etwas zur Rentendebatte gesagt, das genauso von der Bertelsmann-Stiftung kommen könnte: Angesichts der »demographischen Entwicklung« sei »die ältere Generation gefordert, ihre Leistungsansprüche nicht um jeden Preis zulasten der aktiven Generation durchzusetzen«. Veränderungen der »sozialen Herausforderungen« machten Anpassungen notwendig. Die seien darauf auszurichten, »die Spannung zwischen sozialstaatlichem Anspruch und sozialer Wirklichkeit so weit wie möglich aufzulösen«. Und das heißt natürlich, den Anspruch an die soziale Wirklichkeit anpassen und nicht umgekehrt. Man könnte jetzt über den Gehalt der Welskop-Deffaa-Äußerungen lamentieren, die den Interessen der eigenen Klientel doch gehörig widersprechen müssten.
Geschenkt. Welskop-Deffaa hat ein CDU-Parteibuch, die Gewerkschaftsvorstände das der SPD. Auch DIW-Chef Marcel Fratzscher, der kürzlich ebenfalls einen Vorschlag zu Generationengerechtigkeit zum besten gab, ist mindestens SPD-nah. Dass darauf im Zweifel auch gepfiffen wird, hat gerade erst Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) gezeigt, indem er den SPD-Abtrünnigen Harald Christ (inzwischen FDP) zum Chefberater machte.
Sie alle vertreten einen Staat, in dem Kapitalinteressen vorherrschend sind. Dass die transatlantische Kapitalfraktion derzeit dominiert, sollte aus Perspektive der Lohnabhängigen zweitrangig sein. Eine Kriegsbeschwörung, die sich nicht gegen Russland, sondern gegen die USA richten würde, wäre ebensowenig in unserem Interesse. Hier sucht ein internationaler Kampf zwischen Staaten um ökonomische, strategische und schließlich weltpolitische Vorherrschaft danach, entschieden zu werden. Und der bedeutet für die Klasse der Proleten Kahlschlag auf allen Ebenen. Im besten Fall. Im schlimmsten Fall bedeutet er Krieg. Darüber besteht keine Illusion.
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Gegenddarstellung: Brigitte Jelkmann
vom 03.09.2025