Keine deutschen Millionen?
Von Knut Mellenthin
Am 25. März 1958 beschloss der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und Deutscher Partei die Ausstattung der gerade erst drei Jahre zuvor gegründeten Bundeswehr mit Trägersystemen für sogenannte taktische Atomwaffen. Von denen lagerten Hunderte in den Depots der US-Streitkräfte in der BRD. Kanzler Konrad Adenauer pries die Geschosse mit reduzierter Sprengkraft als logische und nützliche »Weiterentwicklung der Artillerie« an. Praktisch ging es um das Unterlaufen der »strategischen Abschreckung« zwischen den USA und der Sowjetunion durch Waffensysteme, gegen deren Einsatz weniger Bedenken und Hemmschwellen bestanden.
Gegen den Beschluss gab es gesellschaftlichen Widerstand, dessen organisatorische und politische Führung beim Ausschuss »Kampf dem Atomtod« lag. Dem gehörten unter anderem die Vorsitzenden der SPD, der FDP und der Gewerkschaften an. Spektakulärer Höhepunkt der Proteste war eine Kundgebung am 17. April 1958 mit über 100.000 Teilnehmern auf dem Hamburger Rathausmarkt. Aber die Kampagne für eine Volksbefragung wurde abgebrochen, nachdem das Bundesverfassungsgericht diese am 30. Juli 1958 verboten hatte. Mit der Verabschiedung des Godesberger Programms im folgenden Jahr vollzog die SPD eine definitive Rechtswende, die führungslos gewordene Protestbewegung fiel in sich zusammen.
Das von Adenauer intensiv unterstützte und rücksichtslos vorgetragene Streben nach einer Mitverfügung über Nuklearwaffen wurde an erster Stelle von Franz Josef Strauß repräsentiert, der 1953 bis 1955 Minister für Atomfragen und 1956 bis 1962 Verteidigungsminister war. Seine nur bedingt diplomatisch zu nennenden Bemühungen richtete er zunächst auf Frankreich, das im Februar 1960 erstmals eine Atombombe zündete, und die USA. In seiner 1965 zunächst auf englisch veröffentlichten Schrift »The Grand Design. A European Solution to Reunification« – Buchtitel 1966: »Entwurf für Europa« – entwickelte Strauß die Idee einer europäischen Föderation, die im engen Bündnis mit den USA bleiben, aber »die Mittel zur Selbstverteidigung bis hin zu und einschließlich der nuklearen Abschreckung besitzen« sollte. Aktuelle deutsche Pläne und Hoffnungen, an der französischen Atomstreitmacht partizipieren zu können, sind als Wiederbelebung der Absichten zu erkennen, die Strauß schon vor 60 Jahren verfolgte.
Dass die nukleare Bewaffnung auch Gegenstand des Waffendeals war, den der damalige BRD-Verteidigungsminister mit dem Leiter des israelischen Atomprogramms, Schimon Peres, abwickelte, liegt auf der Hand. Peres sah sich, inzwischen 92jährig und ehemaliger Premierminister, im Spiegel am 2. April 2015 genötigt, den Gerüchten und bestätigten Hinweisen entgegenzutreten, dass damals »deutsche Millionen« in den Aufstieg Israels zur einzigen Atommacht des Nahen Ostens geflossen seien. Tatsache ist, dass die Bundesregierung Israel 1961 einen Millionenkredit als Finanzhilfe gewährte, der auch für den Bau einer Meerwasser-Entsalzungsanlage in der Wüste Negev genutzt werden sollte. Schönheitsfehler: Dieses Projekt wurde nicht realisiert. Es diente nur als Vorwand und Ausrede für den Bau des Atomreaktors in Dimona, der Quelle des Plutoniums für Israels Atomwaffen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Detlev R. aus Tshwane, Südafrika (2. September 2025 um 22:30 Uhr)Auf ein Wort. Die westdeutsche Kumpanei bei der Atombewaffnung Israels weitete sich später noch auf das rassistische Apartheidregime in Südafrika aus. Mitte der 1970er Jahre dokumentierten der African National Congress und die Anti-Apartheidbewegung in der BRD die nukleare Zusammenarbeit zwischen Bonn und Pretoria. Und: die Nuklearmacht Israel half den Rassisten am Kap entscheidend beim Bau der Bombe. So schließt sich der Kreis. Die westdeutsche Bundesrepublik war damals klar auf der falschen Seite der Geschichte, so wie es die gesamtdeutsche BRD heute wieder oder besser: immer noch ist. Nachdem im Januar 2024 Südafrika beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Anklage gegen Israel wegen Völkermord/Genozid in Gaza erhoben hat, war es die deutsche Regierung, die sofort und als einziges Land dem rechtsradikalen Netanyahu-Regime juristische Hilfe anbot. Dass in Palästina ein geplanter Vernichtungs- und Vertreibungskrieg vor den Kamera-Augen der Welt stattfindet, ist inzwischen nicht mehr zu leugnen. Da muss man schon ein dickes Brett - mit der Aufschrift »Staatsraison« - vorm Kopf haben, um das nicht zu erkennen.
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