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Aus: Ausgabe vom 03.09.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Beziehungen BRD-Israel

Beginn der Waffenbrüderschaft

1957 begannen die deutschen Rüstungslieferungen an Israel. Geheim und illegal, bis heute nicht vollständig untersucht und offengelegt
Von Knut Mellenthin
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Franz Josef Strauß (M.) zwischen seinem israelischen Amtskollegen Shimon Peres (l.) und dem israelischen Landwirtschaftsminister Moshe Dayan in Tel Aviv (27.5.1963)

Israel hat das Recht, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen. (…) Die Entwaffnung der Hamas ist unerlässlich«, hieß es am 8. August in einer Presseerklärung des deutschen Bundeskanzleramts. Gleichzeitig wurde jedoch mitgeteilt, dass die Bundesregierung »bis auf weiteres keine Ausfuhren von Kriegsgütern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnten«, genehmigen werde. Unmittelbar darauf setzte wütendes Protestgeschrei aus der gesamten Union ein, bei dem sich die Spitzenpolitiker der bayerischen CSU besonders hervortaten. Israel, das »die Drecksarbeit für uns macht«, werde »im Stich gelassen«, die »deutsche Staatsräson« preisgegeben, war Grundton der Vorwürfe.

Bild schwang dazu wild den Taktstock, als wolle das Blatt zumindest vortäuschen, der wirkliche Dirigent des Chors der Aufrechten und Mutigen zu sein. Die Vorsitzende der Chefredaktionen der Bild-Gruppe, Marion Horn, geißelte die Entscheidung des Kanzlers als »moralischen Offenbarungseid« und verkündete kategorisch: »Jeder Lieferstopp schwächt die Verteidigungskraft des einzigen demokratischen Staates im Nahen Osten. Jeder Lieferstopp ist eine Kapitulation vor dem Terrorismus.«

Die Waffenbrüderschaft, die im gegenwärtigen Fall einer Mittäterschaft am Völkermord im Gazastreifen gleichkommt, reicht weit in die deutsche Nachkriegsvergangenheit zurück: Im Dezember 1957 vereinbarte die Regierung der BRD, repräsentiert durch Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU), zum ersten Mal einen umfangreichen Waffendeal mit dem 1948 gegründeten Staat. Bis zum politisch motivierten Abbruch der geheim gehaltenen, mit kriminellen Aktivitäten abgeschirmten und offiziell verleugneten Operation im Februar 1965 erreichte der Gesamtwert der gelieferten Rüstungsgüter angeblich eine Summe von 250 Millionen Deutsche Mark, was heute weit mehr als einer Milliarde Euro entsprechen würde.

Das ist aber nur eine allgemein akzeptierte Schätzung. Genau sagen kann es niemand, denn dieses im Dunkeln vollzogene Geschäft wurde niemals gründlich erforscht. Zuviel politischer Schaden für die Regierungen der beiden kooperierenden Staaten wäre sonst entstanden.

Ausgerechnet in dem Hamburger Nachrichtenmagazin, gegen dessen Führungspersonal er 1962 mit der sogenannten Spiegel-Affäre vorgegangen war, servierte Strauß viele Jahre später in der Ausgabe vom 10. September 1989 abenteuerliche Details der gemeinsamen Operation. »Auf verschlungenen Wegen« habe ihn Ende 1957 die Nachricht erreicht, »dass mich eine israelische Delegation unter Leitung von Generalstabschef Moshe Dayan besuchen wolle«. Statt diesem, der sich 1956 bei dem von Großbritannien, Frankreich und Israel gemeinsam durchgeführten Überfall auf Ägypten (»Suezkrieg«) hervorgetan hatte, wurde die Delegation, die zum ersten Treffen in der Privatwohnung des Ehepaares Strauß erschien, von Schimon Peres geleitet, der damals nicht nur ein erstrangiges Amt im Verteidigungsministerium hatte, sondern seit 1955 auch Leiter der streng geheimen, sorgfältig abgeschotteten israelischen Atomwaffenentwicklung war.

Das muss für Strauß, der zu dieser Zeit hektische Aktivitäten gegenüber mehreren verbündeten Ländern entfaltete, um der BRD auf irgendeine Weise einen »Finger am Druckknopf«, also eine Mitverfügung über den Einsatz nuklearer Waffen, zu verschaffen, der interessanteste Aspekt des angebahnten Deals gewesen sein. Seine Zusammenarbeit mit Peres wurde außergewöhnlich eng und vertrauensvoll. Der vielversprechende Israeli war damals 34 Jahre alt, der deutsche Verteidigungsminister mit 42 auch noch recht jung für einen maßgeblichen Politiker.

In seiner Darstellung für den Spiegel schrieb Strauß 1989: »Wir haben die Israel zugesagten Geräte und Waffen heimlich aus den Depots der Bundeswehr geholt und hernach als Ablenkungsmanöver bei der Polizei in einigen Fällen Diebstahlsanzeige erstattet. Hubschrauber und Flugzeuge wurden ohne Hoheitszeichen nach Frankreich geflogen und von Marseille aus nach Israel verschifft.« Eine Bezahlung sei dafür nicht verlangt worden. Die Lieferungen seien jedoch »keine Einbahnstraße« gewesen: Die gerade erst im Aufbau befindliche Bundeswehr wurde mit der israelischen Maschinenpistole »Uzi« ausgestattet, für mehrere hundert Millionen Mark sei Granatwerfermunition in Israel gekauft worden. Andere, unbestätigte Darstellungen behaupten, dass Israel der BRD auch durch die Weitergabe von technischen Details sowjetischer Waffen behilflich gewesen sei, die die Israelis 1956 während des Suezkrieges erbeutet hatten.

Offiziell hielt die Bundesregierung an der Lüge fest, die BRD verhalte sich im Konflikt zwischen Israel und dessen arabischen Nachbarstaaten neutral, sie werde keiner Seite Waffen liefern. Der Schwindel endete, als sich im Herbst 1964 konkrete Berichte in großen internationalen Medien über den Deal häuften. Als Revanche lud der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser den Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, nach Kairo ein. Damit löste er die Anwendung der »Hallstein-Doktrin« aus, die den westdeutschen »Alleinvertretungsanspruch« zementieren sollte. Die Doktrin besagte, dass die BRD keine Beziehungen zu Staaten unterhalten wird, die die DDR anerkennen. Fünf Tage nach dem Ulbricht-Besuch gab die Bundesregierung am 7. März 1965 bekannt, sie werde mit Israel sofort Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen beginnen. Am 12. Mai jenes Jahres wurde dieser Schritt offiziell vollzogen. Schon am 12. Februar hatte das von Kanzler Konrad Adenauer geleitete Kabinett die Einstellung der Waffenlieferungen an Israel beschlossen. Der Vorhang fiel, aber dahinter wurde munter weitergespielt.

Hintergrund: Spiegel-Affäre 1962

Am Abend des 26. Oktober 1962 fuhr die Polizei vor dem Hamburger Pressehaus auf, besetzte die Räume des Nachrichtenmagazins Der Spiegel und begann mit deren Durchsuchung. Im Rahmen der Aktion wurden Haftbefehle wegen Landesverrats gegen mehrere Redakteure und den Herausgeber Rudolf Augstein vollstreckt. Er wurde 103 Tage lang in Untersuchungshaft gehalten.

Der mutmaßliche Initiator des Polizeischlags, Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, schaltete sich auch direkt ein, indem er per Telefonanruf beim deutschen Militärattaché in Madrid veranlasste, dass Redakteur Conrad Ahlers, der gerade Urlaub im faschistisch regierten Spanien machte, dort festgenommen wurde. Der Vorgang löste eine Regierungskrise aus. Am 19. November zog sich die FDP aus der von Konrad Adenauer geführten Bundesregierung zurück, am 30. November erklärte Strauß seinen Rücktritt.

Zuvor hatte Adenauer die Polizeiaktion am 7. November im Bundestag mit der Behauptung verteidigt: »Wir haben einen Abgrund von Landesverrat.« Aber was war angeblich verraten worden? Im Spiegel war am 10. Oktober 1962 ein von Ahlers gezeichneter Artikel mit dem Titel »Bedingt abwehrbereit« veröffentlicht worden. Referiert wurden dort die analytischen Schlussfolgerungen des NATO-Oberkommandos aus der Stabsrahmenübung »Fallex 62«, die im Herbst stattgefunden hatte, aber auch damit verbundene Differenzen, die schon länger zwischen Strauß und anderen Stellen der NATO ausgetragen wurden.

Im Kern ging es dabei um die Frage, wie die Front in Mitteleuropa im Fall eines sowjetischen Angriffs verteidigt werden könnte. Strauß befürwortete den Einsatz taktischer Atomwaffen, von denen die US-Streitkräfte damals mehrere hundert in der BRD lagerten. Gemeint waren nuklear bestückbare Raketen, Flugkörper und Granaten mit kurzer oder mittlerer Reichweite. Die Gegenposition war, dass eine ausreichende »Abwehrbereitschaft« statt dessen auf der Verstärkung der konventionellen Truppen und Waffen beruhen müsse. (km)

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