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Aus: Ausgabe vom 02.09.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Archäologie

Zerstörtes Kulturerbe

Vor zehn Jahren verwüstete der »Islamische Staat« Teile der antiken Oasenstadt Palmyra in Syrien
Von Karin Leukefeld
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Die Ruinen von Palmyra (4.3.2017)

In den Jahren 2015/16 wurden Teile der historischen Oasenstadt Palmyra/Tadmor von Kämpfern des »Islamischen Staates« im Irak und in der Levante zerstört. Heute wird Syrien von ehemaligen Al-Qaida-Statthaltern der Nusra-Front kontrolliert, die nach 2011 mit dem »Islamischen Staat« zunächst kooperierten und sich dann mit dessen Kämpfern blutige Machtkämpfe um Waffen und Kontrolle lieferten. An der Restauration der historischen Antikenstätten des Landes haben die Islamisten in Damaskus wenig Interesse. Die Antikenstätten der Altzeit, die bis ins 4. Jahrtausend vorchristlicher Zeitrechnung zurückdatieren, sind nach Auffassung der neuen Machthaber in Damaskus »Stätten von Ungläubigen«.

»Nachdem ich durch ein Tal von Grotten und Grabmälern gekommen war, entdeckte ich plötzlich beim Ausgang in die Ebene den erstaunenswürdigsten Anblick von Ruinen. Sie bestanden aus einer unzähligen Menge prächtiger, aufrechtstehender Säulen, die sich, (…) so weit das Auge reichen kann, in symmetrischen Reihen hinzogen. (…) Nachdem ich drei Viertelstunden lang zwischen diesen Ruinen gegangen war, kam ich an ein großes Gebäude, das vormals ein der Sonne gewidmeter Tempel war.« So beschrieb der französische Orientalist Constantin François de Volney im späten 18. Jahrhundert seinen Eindruck von der Stadt der Palmen und des Baal-Tempels. Erbaut zwischen den Jahren 17–32 n. u. Z. war der Tempel ein Heiligtum für den Gott Baal. In der frühchristlichen Zeit wurde in der Tempelanlage eine Kirche errichtet. Ende des 13. Jahrhunderts bauten die Bewohner Tadmors, die inzwischen Muslime geworden waren, dort eine Moschee.

Die Stadt Palmyra/Tadmor wird ab etwa 4000 v. u. Z. von assyrischen Königen und im Alten Testament erwähnt. Da Palmyra als Handels- und Umschlagplatz zwischen Ost und West auf der Seidenstraße lag und Nord und Süd über die Gewürzstraße verband, war der Ort auch Wegkreuzung von Religionen und Kulturen. »Der Reichtum Palmyras und seine schnelle Entwicklung in römischer Zeit stützten sich vor allem auf den Handel«, schrieb der polnische Professor für Klassische Archäologe Kazimierz Michałowski. »Palmyra, das für die Karawanen auf halbem Weg vom Persischen Golf zu den Mittelmeerhäfen lag, entwickelte sich zum großen Umschlagplatz.« Im 2. Jahrhundert n. u. Z. erreichte die Entwicklung Palmyras ihren Höhepunkt, aber auch im Anschluss blieb der Ort als Handelsstadt weiter bedeutsam.

Mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches wurde Palmyra dem neuen Staat Syrien zugeteilt. Syrien wurde vom Völkerbund unter französisches Mandat gestellt (1920–1946). In dieser Zeit wurde die Stadt Tadmor, die bis dahin auf dem Gebiet der Ruinenstadt gelegen hatte, nordöstlich davon neu aufgebaut. So entstand auch ein Gefängnis, das insbesondere unter der Herrschaft von Hafez Al-Assad (1970–2000) zu trauriger Berühmtheit kam.

Niemand hielt die Kämpfer auf, die sich Ende April 2015 von Osten kommend Palmyra näherten. Sie müssen auf den Monitoren der zahlreichen westlichen militärischen Überwachungssatelliten gut zu sehen gewesen sein. Die syrische Armee, die zum Schutz der Antikenstätte von Palmyra und der Bewohner von Tadmor dort stationiert war, sah sich nicht in der Lage, die anstürmenden Kämpfer aufzuhalten. Ihr blieb nur, den Abzug der Bewohner von Tadmor in Richtung Homs in die Wege zu leiten. Zu Beginn des syrischen Krieges (2011) hatten in Tadmor rund 50.000 Menschen gelebt. Es gab eine christliche Gemeinde, deren Angehörige auf den Phosphatfeldern im Umland von Tadmor arbeiteten. Die Kirche der Gemeinde wurde vom »Islamischen Staat« geplündert und brannte aus.

Die Verantwortlichen des Antikenmuseums von Palmyra verpackten in aller Eile 400 der wertvollsten der Ausstellungsstücke und brachten sie nach Damaskus, wo sie im Nationalmuseum gelagert wurden. Zurück blieb der Archäologe Khaled Al-Asaad, der 50 Jahre lang Ausgrabungen und Forschung in Palmyra begleitet hatte. Auch einer seiner Söhne, Walid, der ebenfalls Archäologe war, blieb bei ihm. Er sei in Palmyra geboren, erklärte Khaled Al-Asaad. Er werde bleiben, »selbst wenn sie mich töten«. Die Kämpfer nahmen Khaled Al-Asaad und seinen Sohn Walid im Mai gefangen, im August wurde der Archäologe öffentlich geköpft. Sein Leichnam wurde an einem Pfahl aufgehängt. Islamistische Aktivisten verbreiteten Aufnahmen des Toten, an dem ein Plakat angebracht war. Darauf wurde Al-Asaad als »Direktor der Götzenverehrung« bezeichnet. Er wurde 83 Jahre alt. Sein Sohn Walid überlebte.

Im März 2016 konnten die syrischen Streitkräfte mit Unterstützung der russischen Truppen in Syrien die Dschihadisten zurückdrängen und Palmyra wieder unter Kontrolle nehmen. Russische Experten entminten die Ruinenstadt. Das Orchester des russischen Mariinski-Theaters spielte im römischen Amphitheater. Doch im Dezember 2016 rückten die Kämpfer des »Islamischen Staates« erneut vor und marschierten wieder in Palmyra ein. Wenige Monate später, im März 2017, wurden die Kämpfer endgültig vertrieben.

Rund 400 Menschen wurden beim ersten Einmarsch 2015 in Tadmor getötet. Im römischen Amphitheater wurden Männer vor den Augen der Einwohner öffentlich geköpft. Der 2.200 Jahre alte Baalshamin-Tempel und Säulen des Baal-Tempels wurden gesprengt. Auch der Triumphbogen und sieben Grabtürme wurden zerstört, ebenso die berühmte Löwenskulptur aus dem Allat-Tempel, die am Eingang des Nationalen Museums stand. Das Nationale Museum selbst wurde verwüstet. Die UNESCO wertete die Zerstörungen als Kriegsverbrechen. Zur Verantwortung dafür wurde bisher niemand gezogen.

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