Bund kürzt bei Integrationskursen
Von David Siegmund-Schultze
Einerseits rufen deutsche Unternehmen nach Arbeitern aus dem Ausland. 288.000 müssten bis 2040 jährlich laut einer Studie der privaten Bertelsmann-Stiftung vom November 2024 in die BRD einwandern – wegen des fortschreitenden demographischen Wandels. Andererseits versprechen sich die sogenannten Parteien der Mitte mit dem Schüren und Bedienen von Rassismus ein Plus in der Wählergunst. Mit zielgruppenspezifischen Sprach- und Integrationskursen scheint die Bundespolitik ein Opfer gefunden zu haben, das letzterem dient, ohne ersteres zu stark zu gefährden. Am Montag hat die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen deswegen Alarm geschlagen.
Noch die Ampelregierung hatte im November vergangenen Jahres die Streichung von Kursen beschlossen, die speziell auf die Bedürfnisse von Frauen und Jugendlichen zugeschnitten sein sollen. In einer Pressemitteilung der BAG heißt es, dass sie seit Mai nach und nach eingestellt würden. »In zielgruppenspezifischen Kursen können Frauen ganz anders lernen. Sie geben ihnen die Chance, durch den Spracherwerb an der Gesellschaft teilzunehmen«, sagte Meike Pinkernell, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft hessischer Frauen- und Gleichstellungsbüros gegenüber junge Welt. Auch die Jobcenter seien fassungslos, da sie die Notwendigkeit solcher Angebote sehen würden, so Pinkernell. Das gelte besonders für Kurse mit Kinderbetreuung.
»Nur 5.000 von rund 200.000 der Plätze in allgemeinen Integrationskursen waren in den letzten fünf Wochen mit Kinderbetreuung«, so Niklas Harder, Koleiter der Abteilung Integration am Deutschen Institut für Integrations- und Migrationsforschung, im jW-Gespräch. Deswegen sei es problematisch und kontraproduktiv, dass gerade die wenigen Angebote für Frauen wegfallen. »Sie sind jetzt schon die Verliererinnen im Sprach- und Integrationssystem«, so Harder. Während 76 Prozent der Männer, die 2015 in der BRD Schutz suchten, bis 2024 eine Beschäftigung hatten, galt das nur für 35 Prozent der Frauen. Das geht aus einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hervor, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit.
Im Jahr 2024 hatte der Bund rund 1,2 Milliarden Euro für Sprach- und Integrationskurse ausgegeben. Für den Haushalt 2025 waren nur noch 763 Millionen Euro vorgesehen – bei etwa gleichbleibendem Bedarf. Im Juni kündigte das Innenministerium an, 300 Millionen Euro draufzulegen. Bleibt noch immer eine beachtliche Differenz zum Vorjahr, die wohl aus den nun umgesetzten Kürzungen resultiert.
Davon sind nicht nur zielgruppenspezifische Kurse betroffen, sondern auch die Möglichkeit, bis zum Niveau B1 einen Wiederholungskurs zu belegen, um das Sprachniveau zu verbessern. »Das ist sogar noch dramatischer. Damit wird genau die Personengruppe im Stich gelassen, die das Potential hätte, noch weiterzukommen«, sagte Sascha Rex, Leiter der Verbandsentwicklung des Volkshochschulverbands, gegenüber jW. Auch Brückenkurse, mit denen Personen, die nicht bis zum Niveau B2 gekommen sind, dennoch Berufssprachkurse belegen konnten, seien zum Jahresbeginn gestrichen worden. »Dadurch landen Menschen in der Sackgasse. Wer traumatisiert ist und aus einem Kriegsgebiet kommt, lernt nicht einfach so schnell eine neue Sprache, wie sich manche Politiker das vorstellen«, so Rex. Doch die Maßgabe der Bundesregierung ist eindeutig: Man will Zugewanderte möglichst schnell zu Lohnabhängigen machen; und das zu möglichst geringen Kosten.
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