Umkämpfte Regionen ausgeschlossen
Von Karin Leukefeld
Die Entscheidung in Syrien, weder in den südwestlich und südlich liegenden Provinzen Kuneitra und Suweida, noch in den nordöstlichen Provinzen Rakka, Deir Al-Sor und Hasaka Kandidaten für das neue Parlament auszuwählen, ist in den betroffenen Gebieten auf Kritik gestoßen. Kuneitra steht in weiten Teilen unter Kontrolle der israelischen Armee, Suweida wird von syrischen Drusen kontrolliert. Rakka, Deir Al-Sor und Hasaka stehen unter Kontrolle der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die mit den US-Besatzungstruppen in Syrien und mit der US-geführten »Anti-IS-Allianz« kooperieren.
Zahlreiche Medien nennen lediglich die drei Provinzen Rakka, Hasaka und Suweida, in denen die für September angesetzten Wahlen später stattfinden sollen. Als Grund führe Damaskus »Sicherheitsprobleme« an. Die Nationale Wahlkommission habe daher beschlossen, die Wahlen dort zu verschieben, erklärte Nawar Najma gegenüber dem irakisch-kurdischen Nachrichtensender Rudaw. Die für die Region zugewiesenen Parlamentsplätze blieben vorerst leer.
In einem Interview mit dem kurdischen Sender Kurdistani Nwe erklärte Salih Muslim, Mitglied im Vorstand der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), es werde kein Zurück zu einem Zentralstaat Syrien geben: Sollte die »neue syrische Regierung Dezentralisierung ablehnen, werden wir gezwungen sein, Unabhängigkeit zu fordern«. Die kurdische Frage sei eine »internationale Frage«, die »internationale Anstrengungen« erfordere. Weder Drusen noch Kurden sind offenbar bereit, sich an den Wahlen beziehungsweise der Auswahl von Kandidaten zu beteiligen. Sie würden die Interimsregierung nicht wie von Al-Scharaa gefordert anerkennen, erklärte Jerome Drevon, Analyst der Internationalen Krisengruppe, gegenüber der Deutschen Welle.
Seit März 2025 gibt es eine Vereinbarung zwischen Damaskus und den SDF, wonach letztere in die neue syrische Armee integriert werden sollen. Umgesetzt wurde mangels ausgearbeiteter Einzelheiten bislang allerdings nichts. Die SDF bezeichneten die Verschiebung der Wahlen für den Nordosten als undemokratisch. In einer Erklärung hieß es, die Einstufung der Gebiete als »unsicher« solle lediglich die »Verweigerungspolitik gegenüber mehr als fünf Millionen Syrern« rechtfertigen. Solange das anhalte, werde die Administration der Selbstverwaltungsregion jede Anordnung ignorieren und als »nicht bindend für die Völker und Regionen im Norden und Osten Syriens einstufen.«
In der Provinz Suweida reagierte der drusische Scheich Hikmat Al-Hidschri derweil auf den vorläufigen Ausschluss von den Wahlen mit dem Ruf zur Bildung einer getrennten drusischen Provinz. Al-Hidschri betrachtet die Führung in Damaskus als »extremistisch« und ruft aktuell alle drusischen bewaffneten Einheiten auf, Suweida zu verteidigen. Nach Massakern im März, bei denen mehr als 1.500 Menschen getötet worden waren, kam es im Juli erneut zu tödlichen Auseinandersetzungen als die Truppen aus Damaskus in Suweida für Ruhe sorgen sollten. Dschihadistische Extremisten aus den Reihen der neuen syrischen Armee werden für Hunderte Morde an den Drusen verantwortlich gemacht.
Geir Pedersen, der oberste UN-Gesandte für Syrien, warnte vor wenigen Tagen im UN-Sicherheitsrat, es könne in Suweida jederzeit zu einem Wiederaufflammen der Gewalt kommen. »Ein Monat relativer militärischer Ruhe täuscht darüber hinweg, dass sich das politische Klima verschlechtert hat«, sagte Pedersen am vorvergangenen Donnerstag. Und weiter: »Die Gefahr eines erneuten Konflikts ist ebenso allgegenwärtig wie die politischen Zentrifugalkräfte, die die Souveränität, Einheit, Unabhängigkeit und territoriale Integrität Syriens bedrohen«. Es sei dringend notwendig, den Sicherheitskräften der Interimsregierung klarzumachen, dass sie für den Schutz aller Syrier im Einsatz seien.
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