Pulverfass Syrien
Von Wiebke Diehl
In Nordostsyrien kommt es weiter zu gewaltsamen Konflikten. Bei Zusammenstößen mit den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) wurde in der Provinz Aleppo ein Soldat der aus Milizen zusammengesetzten »Regierungsarmee« getötet. Zunehmend steht – auch wegen der an Alawiten und Drusen begangenen Massaker – die Umsetzung eines im März geschlossenen Abkommens über die Integration der SDF in die von Kämpfern des Al-Qaida-Ablegers Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) und anderen dschihadistischen Milizen dominierte »Armee« in Frage. Differenzen gibt es zudem darüber, ob die SDF als Ganzes integriert oder einzelne Regimenter unter ihren jeweiligen Kommandeuren bestehenbleiben sollen.
Am Wochenende haben mehrere arabische Stämme zu einer »Generalmobilmachung« gegen die SDF aufgerufen. Der Al-Bu-Dschabr-Clan gab aus, man müsse »Stammesunterschiede« überwinden »und das Land über alle Überlegungen stellen«. Der Haschemitenclan der Bani Asid rief zum Kampf gegen »Separatisten und verräterische Agenten« auf. Die sunnitischen arabischen Stämme stehen zu großen Teilen der »Regierung« nahe oder haben sich mit ihr zumindest arrangiert. Unter ihnen herrscht aber auch großer Unmut gegenüber den SDF, mit denen man einst gemeinsam gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) kämpfte. Den SDF werden Diskriminierung, Unterdrückung, die Einführung neuer Lehrpläne sowie einer Wehrpflicht, die Verweigerung eines Rückkehrrechts für vom IS vertriebene arabische Familien, die Zwangsrekrutierung auch von Minderjährigen und der Diebstahl syrischer Ressourcen, insbesondere von Erdöl und Weizen, in Kooperation mit US-Besatzungssoldaten vorgeworfen. Seit 2018 kommt es darum zu Aufständen der arabischen Stämme gegen die SDF.
Derweil hat Damaskus laut Medienberichten das russische Militär aufgefordert, wieder Patrouillen in den südlichen Gouvernements durchzuführen. Ziel sei, Übergriffe der israelischen Armee, die ihre Besatzung beständig ausweitet, zu reduzieren. Solche russischen Patrouillen hatte es zuletzt vor dem Sturz der Regierung Präsident Baschar Al-Assads am 8. Dezember gegeben. Zugleich versucht die US-Regierung, die Einrichtung eines »humanitären Korridors« aus Israel in die mehrheitlich drusisch besiedelte Stadt Suweida auszuhandeln. In der kommenden Woche sollen dazu in Paris Gespräche zwischen dem US-Gesandten für Syrien, dem israelischen Minister für strategische Angelegenheiten und dem syrischen »Außenminister« stattfinden. Zu Beginn der Woche haben sich in Amman die Außenamtschefs Jordaniens und Syriens sowie ein Gesandter der USA getroffen. Bei der Zusammenkunft ging es um den Wiederaufbau Syriens, dessen Kosten die UNO auf mindestens 400 Milliarden US-Dollar schätzt, und um die Konsolidierung des Waffenstillstands in der Provinz Suweida.
Damaskus setzt insbesondere auf ausländische Investitionen. Allein in der vergangenen Woche wurden Infrastrukturverträge im Wert von 14 Milliarden US-Dollar unterzeichnet. Darunter ein Vier-Milliarden-US-Dollar-Abkommen mit der katarischen UCC-Holding über den Bau eines neuen Flughafens und ein Zwei-Milliarden-Dollar-Vertrag über den Bau einer U-Bahn in Damaskus mit der nationalen Investitionsgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate. Im Juli hatte Saudi-Arabien angekündigt, rund drei Milliarden US-Dollar in Immobilien- und Infrastrukturprojekte in Syrien zu investieren. Im Mai unterschrieb Damaskus einen Energievertrag im Wert von sieben Milliarden US-Dollar mit einem Konsortium aus katarischen, türkischen und US-amerikanischen Unternehmen.
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