Gegründet 1947 Freitag, 17. Oktober 2025, Nr. 241
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 01.09.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Vorgeschichte der Nazidiktatur

Die »falsche« Wahl

Ein Buch über das »Schicksalsjahr« 1925 und die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten
Von Leo Schwarz
imago77982423.jpg
Kandidat der antirepublikanischen Rechten: Der neue Reichspräsident und ehemalige kaiserliche Feldmarschall 1925 beim Abschreiten einer Ehrenformation vor dem Reichstag

Historische Publikumsliteratur, in der die Ereignisse eines bestimmten Jahres zur entscheidenden Weichenstellung für Späteres oder zum Schlüssel für ganze Epochen erklärt werden, gibt es inzwischen auf mehreren Regalmetern. Nun hat der Autor Wolfgang Niess, der vor den jeweiligen hundertjährigen Jahrestagen auch schon Bücher über die deutsche Revolution von 1918/19 und den faschistischen Putschversuch von 1923 vorgelegt hat, ein Buch über das »Schicksalsjahr 1925« geschrieben.

1925 ist für Niess ein Schicksalsjahr, weil in diesem Jahr Paul von Hindenburg, der am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte, zum Reichspräsidenten gewählt wurde. Niess hält die Frage, »wie es zu dieser Wahl kommen konnte«, für »eine der Schlüsselfragen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert«. 2017 hatte Niess die niedergeschlagene Revolution von 1918/19 noch zu einer »gelungenen Revolution« erklärt, in deren Tradition auch die Bundesrepublik der Gegenwart stehe. So richtig »gelungen« war die Revolution aber offensichtlich doch nicht, denn die Botschaft des neuen Buches lautet schon im Klappentext: »Kommen die Falschen in politische Ämter, können Demokratien scheitern.« Mehr als eine »falsche« Wahl war (und ist?) für eine richtige Konterrevolution also gar nicht nötig, scheint es.

Etwas mehr als die Hälfte des Buches ist einer kleinteiligen Nacherzählung der anderswo bereits vielfach dargestellten Ereignisse im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl von 1925 gewidmet, die mit dem Tod des sozialdemokratischen Amtsinhabers Friedrich Ebert einsetzt. Niess gelingt es recht gut, das reaktionäre und restaurative Netzwerk zu rekonstruieren, als dessen Kandidat Hindenburg im zweiten Wahlgang im April 1925 ins Rennen ging, nachdem sich abzeichnete, dass der vom Großteil der politischen Rechten im ersten Wahlgang unterstützte Kandidat, der Duisburger Oberbürgermeister Karl Jarres, im zweiten Wahlgang unterliegen würde.

Weniger gelungen ist, dass das Buch insgesamt der in neueren Publikationen verstärkt zu beobachtenden Tendenz folgt, dem einmal ins Amt gekommenen Hindenburg als politischem Akteur ein sehr großes Eigengewicht zuzusprechen. Das hat – ob das immer Absicht ist, sei dahingestellt – den Effekt, genau diese reaktionären Einflussgruppen zu entlasten und den Prozess der Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland zu personalisieren. Das Verfahren wird nicht dadurch sympathischer, dass man neben Hitler, hinter dem lange die gesamte herrschende Klasse verschwand, nun noch Hindenburg stellt. Dass Niess wie üblich die Wahl Hindenburgs auch darauf zurückführt, dass die KPD im zweiten Wahlgang an ihrem Kandidaten Thälmann festhielt und sich weigerte, den »demokratischen« Sammelkandidaten Wilhelm Marx vom Zentrum zu unterstützen, überrascht nicht.

»Die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten am 26. April mündete in eine Katastrophe für Deutschland und die Welt«, schreibt Niess, dem vor allem daran gelegen ist, die persönliche Verantwortung Hindenburgs für diese Katastrophe herauszuarbeiten. Allerdings läge, wenn man denn schon nach Schicksalsjahren fahndet, der Gedanke näher, das Jahr 1932 mit der Wiederwahl Hindenburgs vermöge der Unterstützung der »Demokraten«, vorneweg die Sozialdemokratie, in den Blick zu nehmen. Bereits das Jahr 1925 zur entscheidenden Weichenstellung zu erklären, verstellt den Blick auf ungenutzte Handlungsmöglichkeiten, die es in den sieben Jahren danach in nicht geringer Zahl gab.

Wolfgang Niess: Schicksalsjahr 1925. Als Hindenburg Präsident wurde. C. H. Beck, München 2025, 304 Seiten, 28 Euro

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Mehr aus: Politisches Buch