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Aus: Ausgabe vom 28.08.2025, Seite 16 / Sport
Sportliteratur

Ein Denkmal für die Glückssucherinnen

Torsten Kröners Buch »Wir waren Heldinnen. Wie Frauen den Fußball eroberten«
Von André Dahlmeyer
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Fußball ist unser Leben

»Die Frauenfußballnationalmannschaft ist ja schon Fußballweltmeister, und ich sehe keinen Grund, warum Männer nicht das gleiche leisten ­können wie Frauen.«

Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache 2006 anlässlich der ­anstehenden Fußball-WM der Männer

Mit der Gleichberechtigung ist es so eine Sache, vor allem wenn sie falsch verstanden wird. (Damit meine ich nicht das hervorragende Merkel-Zitat.) Vielleicht können Sie sich noch an die Debatte in Westdeutschland erinnern, ob Frauen auch zur Bundeswehr sollten. Junge Männer antworteten darauf in der Regel wie aus der Pistole geschossen: »Klar, wir müssen ja auch zum Bund!« Anstatt den eigenen Kopf zum Denken zu benutzen und die Wehrpflicht an sich in Frage zu stellen, gaben sich diese kleinen Lichter mit der totalen Unterwürfigkeit unter eine Norm zufrieden. Seit einigen Jahren ist derlei Denkfaulheit, allerdings sehr viel breiter aufgestellt, in Deutschland erneut zur dominierenden Modeerscheinung geworden.

Worauf ich hinaus will, ist freilich etwas anderes. Im Juli ging bei den Eidgenossen die 14. Frauen-EM zu Ende. Das Halbfinale zwischen Deutschland und Spanien in der ARD etwa sahen etwa 14,26 Millionen Zuschauer (Marktanteil 57,6 Prozent). Der Frauenfußball boomt noch, steht aber schon vor dem irreparablen Umkippen. Denn viele goutieren ihn nicht allein, weil er zweifellos exzellent ist, nein, es gibt da auch die ewig uneinsichtigen Romantiker, die behaupten, überzeugt zu sein, Fußball der Frauen sei noch nicht so extrem vermarktet wie Männerfußball. Das böse Wort mit »K« – Kommerz. Behaupten können sie meinetwegen, was sie wollen, aber was wollen sie? Sie wollen gleiche Gehälter für kickende Frauen und Männer. Kleiner Tip: Dem liegt schon wieder ein Denkfehler zugrunde.

Was bekommen die weiblichen DFB-Stars eigentlich so? Jule Brand soll bei Olympique Lyon 600.000 Euro jährlich einsacken, 50.000 Euro im Monat, mehr als 1.500 Euro am Tag. Grundgehalt! Davon sollten die Enkel nicht verhungern. Sydney Lohmann und Klara Brühl erhalten die Hälfte, Sjoeke Nüsken, Kathrin Hendrich und Ann-Katrin Berger kommen immerhin noch auf eine Viertelmillion. Auch die Ablösesummen im Frauenfußball boomen. Gerade hat Champions-League-Sieger WFC Arsenal London für die 20jährige kanadische Nationalspielerin Olivia Smith die Rekordsumme von über einer Million Pfund (rund 1,16 Millionen Euro) an den FC Liverpool berappt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: gleiche Gehälter für Männer und Frauen! Ich schlage eine internationale Obergrenze von einer Million US-Dollar für Frauen vor. Dieselbe für Männer. Wenn denen das nicht passt, sollen sie auf dem Bau anheuern, da sind sie auch an der frischen Luft, erhalten Schlechtwetterzulage oder kriegen frei, wenn es schifft.

Erstaunlich ist, dass die neuzeitlichen Kickerinnen etwa der DFB-Auswahl praktisch nichts über die balltreterischen Vorreiterinnen ihrer Heimat wissen. Ihre Idole sind Männer. In der Musik oder der Literatur unvorstellbar. Falls sie noch mehr lesen als die Jubelorgien (oder Shitstorms) ihrer sogenannten Fans in den sozialen Medien, kann Abhilfe geschaffen werden. Der umtriebige Torsten Körner hat bei Kiepenheuer & Witsch mit »Wir waren Heldinnen. Wie Frauen den Fußball eroberten« ein Buch geschrieben, das den Pionierinnen des deutschen Frauenfußballs ein Denkmal setzt. Gleichwohl ist es eine Reise durch Nachkriegsdeutschland und die mitunter geradezu perverse Mentalitätsgeschichte der alten Bonner Republik.

Der WM-Gewinn 1954 war auch für viele Mädchen im Westen ein Initiationserlebnis. Überall im Land stürmten Fußballmädchen die Straßen. Die alten Männer in Frankfurt am Main reagierten rasch: 1955 verbot der DFB den Frauenfußball in den Westzonen. Den angeschlossenen Vereinen wurde untersagt, Mädchenmannschaften zu haben oder Mädchen auf deren Plätzen trainieren zu lassen. Vereine, die sich dem widersetzten, etwa Plätze und Kabinen zur Verfügung stellen wollten, wurden mit empfindlichen Strafen bedroht – bis zum Ausschluss ihrer Herrenteams aus dem Ligabetrieb. Auch Trainer und Schiris wurden vom DFB bedroht. Wie gemein können Menschen bzw. Männer sein? Es war die hässliche, ewiggestrige deutsche Fratze. Der Raum, die Macht sollte männlich bleiben. Und was machten die Frauen? Ordneten sie sich unter? Mitnichten! Es waren Fußballverrückte, Glückssucherinnen. Niemand konnte ihnen etwas. Sie stammten überwiegend aus dem Pott, aus Arbeiterfamilien. Ihr Ruhrgebietshumor ist ansteckend. Wie die Frau in der Gesellschaft zu sein hätte – die Stereotypen, die Stigmatisierung –, es war ihnen schnuppe. Ohne es zu ahnen, waren sie Feministinnen der Tat. Sie waren widerspenstige Geister, Dickköpfe, die den Frauenfußball zu dem gemacht haben, was er heute ist. Die Geschichten dieser Frauen und ihrer Lebensläufe sind wundervoll. Geschichten über die legendären Frauenmannschaften Fortuna Dortmund, TuS Wörrstadt (1974 erster deutscher Frauenmeister) oder SSG 09 Bergisch Gladbach (1981 inoffizieller Frauenweltmeister der Nationalmannschaften).

Am 10. November 1982 bestritt die deutsche Frauschaft in Koblenz ihr erstes offizielles Länderspiel gegen die Schweiz (5:1). Am 2. Juli 1989 wurde sie nach einem 4:1-Finalsieg gegen Norwegen in Osnabrück sogar Europameister. Der DFB ließ sich nicht lumpen und sandte den Königinnen Europas zum ersten Mal eine Prämie: ein 41teiliges Kaffeeservice der Dynastie Villeroy & Boch. Zweite Wahl. 1970 hatte der DFB nur auf marktwirtschaftlichen Druck hin das Frauenfußballverbot aufgehoben. Eine Geste des Bedauerns des DFB gibt es bis heute nicht.

Körners Buch ist multimedial. Anfang Juli zeigte die ARD seinen 90minütigen Dokumentarfilm »Mädchen können kein Fußball spielen« über weibliches Empowerment, montiert als Dialog zwischen Zeitzeuginnen und Archivfundstücken, auch mit DDR-O-Tönen, etwa von Doreen Meier.

Fazit: Hinterhöfe, Kuhwiesen, brachliegende Äcker und die Straße hatten gewonnen! Dafür gibt’s heute Bakschisch. Nur, was machen die kickenden deutschen Frauen heute daraus? Viele spielen sehr gut, sympathisch ist mir keine. Die Pionierinnen alle!

Torsten Körner: Wir waren Heldinnen. Wie Frauen den Fußball eroberten, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2025, 336 Seiten, 24 Euro

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