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Aus: Ausgabe vom 28.08.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Union Busting Monitor

Wer hat Angst vor Achtstundentag und Tarifvertrag?

Jessica Reisner und Elmar Wigand kommentieren Union Busting
Von Jessica Reisner und Elmar Wigand
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Was ist eigentlich bei Dietrich Creutzburg schiefgelaufen? So heißt der Antigewerkschaftsmann der FAZ – ein Schreibtischkrieger im Klassenkampf von oben, deren Scharfschütze im Wirtschaftsteil. Haben Arbeiterkinder dem kleinen Diddi einst weh getan? Hat Webers Mattes, der als Geselle schon ein Moped hatte, ihm die erste Freundin weggeschnappt? Hat der Betriebsrat die Firma seines Opas ruiniert? Kommt er gar selbst aus der Arbeiterklasse und hasst sich dafür, dass er sich im Frack immer noch fremd fühlt?

dc., so sein Kürzel, darf stets ran, wenn die alte Tante SPD und angegliederte Gewerkschaftszentralen zu frech zu werden drohen; er hat immer ein Auge darauf, was hinter der Front passiert, ob das feindliche Lager irgend etwas plant. Dass die SPD als verlässliche Partnerin der Dax-Konzerne und unserer US-amerikanischen Freunde mit der von ihm verordneten Rosskur kontinuierlich abwärts schlittert, es kümmert Creutzburg nicht. Wenn die Therapie nicht wirkt, muss die Dosis gesteigert werden: Wir sollen immer mehr und länger arbeiten, Lohnsteigerungen seien maßlos, Streiks hingegen anmaßend …

Am 18. August legte dc. in der Frankfurter Allgemeinen einen sehr merkwürdigen Text vor, der auf verschlungene Weise eine DGB-Pressemitteilung mit einer Umfrage des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB) verknüpft sowie einen überraschenden Zusammenhang herstellt zwischen der geplanten Entgrenzung der Arbeitszeiten, dem Tariftreuegesetz und dem elefantösen Aufrüstungskonjunkturprogramm, das die deutsche Wirtschaft aus dem Schlaf reißen soll. »Stoppt die SPD die Lockerung des Achtstundentags?« fragt die Schlagzeile angsterfüllt. So hat Creutzburg die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt vor »Flexibilität zulasten der Beschäftigten« warnen gehört. Und DGB-Chefin Yasmin Fahimi soll den Leitsatz formuliert haben: »Hände weg von der Deregulierung des Arbeitszeitgesetzes«.

Der BFB hält per Pressemitteilung dagegen, und dc. kolportiert die Sorgen jener Lobbyorganisation, die uns bis dato unbekannt war, aber damit prahlt, für 1,5 Millionen selbständige Freiberufler zu stehen. (Als sogenannter Spitzenverband hat der BFB keine eigenen Mitglieder, sondern vertritt Kammern und Verbände, sein tatsächlicher Rückhalt ist fraglich.)

Der DGB sei auch deshalb gegen eine Aufweichung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeit per Gesetz, weil Tarifverträge es bis dahin erlaubten, die gesetzlichen Standards zu unterschreiten (!). Wenn dieses tarifliche Arbeitszeitbegrenzungsdumping obsolet würde, sieht der DGB die Tariftreue untergraben. Eine sehr fadenscheinige, ja fast diabolische Argumentation. Das Unterlaufen von gesetzlichen Standards spricht wohl kaum für Tarifverträge! Wie kann das überhaupt legal sein? Von befreundeten Arbeitsrechtlern haben wir gelernt: Die Tarifautonomie ist als Teil der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz verankert (Artikel 9) und schwebt somit quasi über den irdischen Gesetzen – so der allgemein verbreitete und weithin anerkannte Rechtsglaube. (Wir finden es absurd.)

Tarifverträge könnten sich aber nur große Betriebe leisten, so der BFB, während die Selbständigen im Durchschnitt nur drei Beschäftigte hätten. Mit einem Tariftreuegesetz wären sie von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen, während die Tarifgebundenen in Aushandlung mit zuständigen Gewerkschaften jenes oben beschriebene Arbeitszeitdumping betreiben könnten. Das könne sogar die Kriegstüchtigkeit gefährden! Sprich: Es gibt »Zielkonflikte im Hinblick auf die geplante Sanierung der öffentlichen Infrastruktur«. Konkret: Ingenieurs- und Sachverständigenbüros, die »dringend benötigt« würden, um Brücken und Bahntrassen zu erneuern, könnten vom Tariftreuegesetz benachteiligt werden und in die Röhre gucken, wenn nicht endlich der Achtstundentag aufgeweicht würde. Darauf muss man erst einmal kommen …

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