Weckruf zur Westsahara
Von Jörg Tiedjen
In einem eindringlichen Appell hat UN-Generalsekretär António Guterres zwei Monate vor dem 50. Jahrestag der marokkanischen Invasion in der Westsahara zu einem »sofortigen Kurswechsel« aufgerufen. »Die anhaltende Verschlechterung der Lage ist alarmierend und untragbar und erfordert eine dringende Umkehr«, schreibt Guterres in einem am Wochenende veröffentlichten Bericht an die UN-Generalversammlung.
Zwar verlaufe der militärische Konflikt zwischen Marokko und der Befreiungsfront Polisario nach wie vor auf »niedriger Intensität«. Drastisch ist aber das Bild, das Guterres von der Situation in den marokkanisch besetzten Gebieten zeichnet. Zu systematischen Repressionen gegen Sahrauis kämen gewaltsame Enteignungen von Land. Zugleich hindere das nordafrikanische Königreich seit einem geschlagenen Jahrzehnt Delegationen des UN-Menschenrechtskommissariats an der Einreise. Journalisten und andere Beobachter würden ebenfalls abgewiesen und abgeschoben.
Auch die reichen Geberländer der UNO werden nicht geschont. So musste etwa die Hilfe des Welternährungsprogramms für die sahrauischen Kriegsvertriebenen in den Lagern beim algerischen Tindouf aufgrund von Budgetkürzungen um 30 Prozent verringert werden, ist in dem Bericht zu lesen. Seitdem herrsche Mangelernährung. Zwar habe Algerien versucht, das Defizit durch Ausweitung eigener Lebensmittelhilfen auszugleichen. Das sei aber nur bedingt geglückt.
Marokkanische Medien haben zuletzt den Eindruck vermittelt, das sich der Konflikt um die Westsahara noch diesen Herbst zugunsten Rabats entscheiden könnte. Die Hoffnungen liegen dabei auf US-Präsident Donald Trump, der 2020 kurz vor Ende seiner ersten Amtszeit die Souveränität Marokkos über die alte spanische Kolonie anerkannt und einen von Marokko 2007 vorgelegten »Autonomieplan« zur »einzig realistischen Lösung« des Konflikts erklärt hatte. Als Gegenleistung trat Marokko damals den sogenannten Abraham-Verträgen bei und normalisierte seine diplomatischen Beziehungen zu Israel.
Rabat will Trump nicht nur erneut für seinen »Autonomieplan« einspannen, mit dem das von der UNO verbürgte Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit ein für alle Male begraben würde. Ende Juli hat Marokko auch einen Vertrag mit einer US-Beratungsfirma abgeschlossen, der laut Africa Report vom Montag zum Ziel hat, in den USA eine Listung der Polisario-Front als »Terrororganisation« durchzusetzen. Allerdings würde Washington durch einen solchen Schritt seine guten Beziehungen zu Algerien riskieren. Im Juli hatte Trumps Sondergesandter Massad Boulos Algier besucht. Dabei war eine engere militärische Kooperation zwischen beiden Ländern vereinbart worden.
Die EU ist ein weiterer wichtiger Akteur, wenn es um eine Lösung des Westsahara-Konflikts geht. Vergangenes Jahr hatte das höchste Gericht der Union, der Europäische Gerichtshof, in mehreren bahnbrechenden Urteilen sämtliche Verträge zwischen Brüssel und Rabat, deren Gültigkeit sich auch auf die Westsahara beziehen soll, verworfen. Wie aber die Rechercheseite African Intelligence Ende Juli berichtete, will die EU die eigene Rechtsprechung anscheinend umgehen und befindet sich gegenwärtig in Geheimverhandlungen mit Rabat über eine Neuauflage der vom EuGH gekippten Verträge.
Hintergrund: Geteilte Solidarität
Die Konflikte im Nahen Osten und in der Westsahara werden häufig in einem Atemzug genannt, zumal sie beide koloniale Wurzeln haben. Mitte des Monats verwehrte sich jedoch die französische EU-Abgeordnete mit palästinensischen Wurzeln Rima Hassan gegen einen Vergleich. Die Politikerin der linken Partei La France insoumise und Palästina-Aktivistin suggerierte auf Instagram, dass Vorwürfe an Marokko, die Westsahara auszubeuten, nicht stimmten. Tatsächlich investiere das Königreich »Milliarden« in die dortige Infrastruktur.
Auch stellte Hassan in Zweifel, dass Marokko das Gebiet militärisch besetzt hat. Vielmehr hätten beim sogenannten grünen Marsch am 6. November 1975 »300.000 unbewaffnete Freiwillige friedfertig die Grenze überquert«. Allerdings war der »grüne Marsch« eine gigantische Propagandaveranstaltung, die von einer Invasion der marokkanischen Armee begleitet war. Bei ihr wurden Phosphorbomben und Napalm gegen Zivilisten eingesetzt.
Omar Abdeslam, Präsident der sahrauischen Menschenrechtsvereinigung Afapredesa, warf Hassan in einer ausführlichen Entgegnung vor, marokkanische Propaganda zu verbreiten. Auch erinnert er an das Bündnis zwischen Rabat und Tel Aviv. Israel habe »die marokkanische Armee mit Waffen beliefert, die gegen die Sahrauis eingesetzt wurden, was die Kämpfe Palästinas und der Sahara noch enger miteinander verbindet«. Er empfiehlt ein »klares Bekenntnis zum internationalen Recht« – in der Westsahara wie in Palästina. (jW)
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