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Aus: Ausgabe vom 27.08.2025, Seite 15 / Antifaschismus
Sozialzentrum »Leoncavallo« geräumt

133 Versuche später

Italien: Autonomes Zentrum »Leoncavallo« geräumt. Erfolg für rechte Regierung. Protest angekündigt
Von Fabio Nacci, Modena
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Eckensteher: Polizisten im Einsatz an der Südmauer des autonomen Zentrums (Mailand, 21.8.2025)

Nach 133 gescheiterten Versuchen: Am Donnerstag, dem 21. August, wurde das »Leoncavallo« – das wohl bekannteste und traditionsreichste autonome Zentrum Italiens – trotz laufender Verhandlungen mit der Stadt Mailand geräumt. Der Räumungsbefehl, der ursprünglich erst am 9. September hätte vollstreckt werden sollen, wurde überraschend um 7.30 Uhr morgens durchgesetzt, als niemand im Gebäude war. Offenkundig hatte die italienische Regierung den Termin bewusst vorverlegt, um den Mailänder Bürgermeister Giuseppe Sala (Demokratische Partei) politisch zu treffen und den Wahlkampf in der Metropole mit einem Angriff auf eines der historischen Symbole der Linken zu eröffnen.

Die erste Antwort kam sofort: Rund 150 Menschen versammelten sich vor dem Gebäude, hielten eine spontane Kundgebung ab und kündigten an, am 6. September eine große Demonstration in Mailand zu organisieren – möglicherweise auch mit landesweiter Mobilisierung. »Wir denken darüber nach, für Sonnabend, den 6. September, eine nationale Demonstration anzusetzen, vorbereitet durch eine städtische Versammlung«, erklärte der frühere Abgeordnete und langjährige Sprecher des Zentrums, Daniele Farina.

Bürgermeister Sala kritisierte das Vorgehen der Regierung scharf: »Für eine so sensible Operation hätte es viele Wege gegeben, die Stadtverwaltung einzubeziehen. Diese wurden nicht genutzt.« Zugleich signalisierte er Gesprächsbereitschaft. Im Gespräch ist ein Umzug des »Leoncavallo« in eine kommunale Halle in der Via San Dionigi am Stadtrand. Das Zentrum hat bereits sein Interesse bekundet.

Für die postfaschistischen und rechten Parteien im Kabinett von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) ist die Räumung mehr als ein Verwaltungsakt. Sie ist eine Abrechnung mit einem halben Jahrhundert Widerstand gegen rechte Politik. Seit 1975 war das »Leoncavallo« Labor und Motor linker Ideen und Kämpfe. Es prägte ganze Generationen von Aktivisten, stand für antifaschistische Werte und Klassenkampf.

Gegründet wurde das Zentrum durch die Besetzung einer Industriebrache in der Via Leoncavallo. 1994 zog es in eine ehemalige Papierfabrik der Unternehmerfamilie Cabassi um. Trotz eines Räumungsurteils von 2003 war die Entscheidung nie umgesetzt worden – bis jetzt. Betroffen war damals formell nur die einzige offiziell registrierte Vereinigung im Zentrum, die »Mamme Antifasciste del Leoncavallo«, gegründet 1992 im Gedenken an die beiden 19jährigen Aktivisten Fausto Tinelli und Lorenzo »Iaio« Iannucci, die 1978 ermordet wurden. Die Täter wurden nie ermittelt, doch die Spuren führten nach rechts. Ihre Mütter entschieden damals, im »Leoncavallo« präsent zu bleiben – Seite an Seite mit der jungen Generation.

Über die Jahre war die Räumung immer wieder aufgeschoben worden. Im vergangenen November wurde das Innenministerium dann dazu verurteilt, der Familie Cabassi drei Millionen Euro Entschädigung für das ausgebliebene Vorgehen zu zahlen.

Eine besonders widersprüchliche Figur in dieser Geschichte: Matteo Salvini. Der heutige Chef der rechten Partei Lega gehört zu den lautesten Befürwortern der Räumung. Doch 1994, als junger Stadtrat der Lega Nord, hatte er das »Leoncavallo« noch verteidigt, als es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Damals bezeichnete er es als »Ort der Debatte, wo man diskutieren, ein Bier trinken und Spaß haben kann« – und betonte, es sei ein wichtiger Treffpunkt für Jugendliche. Er selbst habe das Zentrum als Schüler besucht, erzählte er. 31 Jahre später präsentiert sich Salvini völlig anders: Nach der Räumung jubelte er und erklärte das »Leoncavallo« zum »Symbol von Jahrzehnten geduldeter Illegalität«. Sein Fazit: »Das Gesetz ist für alle gleich – raus!«

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