Ein guter Kaiser
Von Kai Köhler
Titus, der bestmögliche Monarch, verzichtet auf seine große Liebe, weil das römische Volk keine Ausländerin als Kaiserin akzeptieren würde. Die zweite Heiratskandidatin gibt er frei, denn sie liebt einen seiner Untertanen. Dann verübt Sextus, sein bester Freund, einen Mordanschlag auf ihn. Titus unternimmt alles, um nur nicht das Todesurteil unterschreiben zu müssen. Freilich schweigt Sextus beharrlich über die Hintergründe und müsste sterben, würde ihn nicht seine Geliebte Vitellia entlasten. Sie nämlich hat Sextus zu dem Anschlag gedrängt, aus Ehrgeiz, weil Titus zunächst ihre Liebe verschmäht hat und weil sie nicht rechtzeitig erfuhr, dass sie bereits als Heiratskandidatin Nummer drei vorgesehen war. Titus verzeiht dem gescheiterten Mörder und seiner Anstifterin, und so ist jedes Blutvergießen vermieden.
Als politische Aktion ist all das hochgradig albern. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass das adlige Publikum, das sich 1791 zur Uraufführung von Mozarts Oper »La clemenza di Tito« versammelte, darin eine Handlungsanleitung vermutete. Man feierte die Krönung des Kaisers Leopold II. zum böhmischen König; kurze Zeit später sah der Reformer, welche Gefahr ihm durch die Französische Revolution drohte. Ohnedies war auch aufgeklärten Monarchen klar, dass es auf absehbare Zeit ohne die unfreundlichen Mittel in der Politik nicht gehen würde. Titus war also nicht unmittelbares Vorbild, sondern im besten Fall ein Ideal, an dem sich die Entwicklung orientieren konnte.
Kunst wird daraus erst durch Mozarts Musik. Was handlungslogisch grob zusammengeflickt ist, taugt ihm als Grundlage dafür, Figuren in Extremsituationen bewegende Musik zu geben, Seelenzustände zu verdeutlichen. In Bad Lauchstädt wird das Werk in einer recht freien deutschen Übertragung aufgeführt, die gleichwohl historisch bedeutsam ist: Mit dieser Fassung wurde 1802, in einer Inszenierung Goethes, das Theater eröffnet. Es handelt sich um eine Koproduktion mit der Staatskapelle Halle, die unter der Leitung von Michael Hofstetter in kleiner Besetzung mit geschärften Klangfarben, rhythmisch und gestisch präzise, ihre außerordentliche Qualität beweist.
Beteiligt ist außerdem das Puppentheater Halle, dessen Chefdramaturg Ralf Meyer das Werk inszeniert hat. Puppentheater, das heißt in diesem Fall: Die Figuren, außer Titus, bestehen aus Sänger oder Sängerin und dazu einer etwa menschengroßen Puppe, die von einem schwarz maskierten Spieler geführt wird. Diese Doppelung irritiert zunächst, und erst allmählich teilt sich mit, welche Möglichkeiten sie bringt.
Am Hof heißt es, Haltung zu bewahren. Zugleich sind Liebe und Freundschaft ebenso starke Gefühle wie die Enttäuschungen, die sie hervorrufen. Die Doppelung der Figuren vervielfacht die möglichen Beziehungen auf der Bühne. Puppe und Sänger einer Figur treten ebenso in ein Verhältnis zueinander wie die Bestandteile der einen Figur zu denen der anderen. Dabei hat, wer singt, Mozarts musikalisches Element und damit das emotionale – doch so eindeutig ist es nicht. So starr die Mimik der Puppen notwendigerweise ist, ihre Spieler vermögen Gesten hervorzurufen, die von tiefer Trauer sind. Freude kommt – sogar am Schluss – seltener vor.
Der Herrscher ist der einsamste Mensch; er kann nicht wissen, ob er Freunde oder Schmeichler um sich hat. Person und Rolle fallen notgedrungen in eins. Insofern ist konsequent, dass allein Titus nicht durch eine Puppe gedoppelt ist. Doch fühlt Titus die Not, insofern ist auch er gespalten. Vielleicht hätte Meyer auch ihm eine Puppe beiordnen sollen.
Die von der Dramaturgin Ilsedore Reinsberg rekonstruierte Fassung ist so historisch korrekt wie möglich – die Inszenierung ist es nicht und soll es nicht sein. Bereits Mozarts Textdichter Caterino Mazzolà hatte das zuvor oft vertonte Libretto von Pietro Metastasio empfindsam angereichert. In Bad Lauchstädt 2025 wirkt nun die Gefühlswelt ganz heutig, auch ohne dass durch Bühnenbild, Kostüme oder politische Aktualisierungen ein Bezug auf die Gegenwart hergestellt würde. Dazu trägt ein durchweg hervorragendes Sängerensemble bei, aus dem Olena Tokar als Vitellia und Vero Miller als Sextus hervorzuheben sind.
Das »klassische Humanitätsideal«, das Reinsberg im Programmheft hervorhebt, wird damit sinnlich erfahrbar; freilich auch seine Gefährdung. Bei Mazzolà und Mozart verzeiht Titus, und dennoch ist kaum vorstellbar, wie die Hauptfiguren nach dem Geschehenen noch glücklich werden könnten. In Meyers Inszenierung fummelt Sextus bereits wieder mit seiner Waffe herum – die Gefahr bleibt.
Goethe-Theater Bad Lauchstädt, nächste Aufführungen 30.8., 3.10.
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