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Aus: Ausgabe vom 27.08.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Handelskrieg

Vor der Rezession

Schweizer Industrieverband Swissmem beklagt deutlichen Rückgang bei Umsätzen und Aufträgen. »US-Zollhammer« ist dabei noch nicht eingepreist
Von Dominic Iten, Bern
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Schweizer Innovationen auf der Hannover-Messe. Die dortige Industrie befindet sich trotzdem im Tiefflug

Das Schweizer Kapital ist in Aufruhr – und zuvorderst das Exportkapital. Der Verband der schweizerischen Techindustrie veröffentlichte am Dienstag seine Halbjahreszahlen. Diesen zufolge sanken die Umsätze gegenüber dem Vorjahressemester um 2,5 Prozent, die Auftragseingänge um 2,3 Prozent und die Güterexporte um 0,9 Prozent. Im zweiten Quartal sei das Bestellvolumen gegenüber dem Vorquartal um 13,4 Prozent zurückgegangen – ein Einbruch, »noch vor dem US-Zollhammer«, wie Swissmem gleichentags mitteilte.

Vor diesem Hintergrund bedeute der neue US-Zollsatz von 39 Prozent »eine massive Verschärfung der bestehenden Industrierezession«, führt der Verband aus. Für kleinere und mittlere Unternehmen würde ein voraussichtlicher Wegfall des US-Geschäfts eine »Existenzbedrohung« darstellen, heißt es weiter. Die Schweizer Uhren-, Medizintechnik- und Pharmaindustrie sei gegenüber ihren Konkurrenten aus den USA, der EU und Japan durch die neuen Begebenheiten »chancenlos« geworden, stöhnt der Kapitalverband in seiner Mitteilung. »Bessere Rahmenbedingungen für Unternehmen und Mitarbeiter« seien nun nötig. Schließlich stehen laut Swissmem-Chef Stefan Brupbacher »Zehntausende von Arbeitsplätzen« auf dem Spiel. Er dürfte sich dabei weniger um die Beschäftigten, als vielmehr um den bedrohten Mehrwert seiner Branche kümmern. Als er unmittelbar nach der Zollankündigung meinte, es »folgen Massenentlassungen«, sollte die maximal mögliche Bezugsdauer von Kurzarbeitsentschädigung nicht verlängert werden. Das klang eher nach einer Drohung als nach einer Sorgebekundung.

Ein Verdacht, der sich mit Blick auf die neu lancierte Petition des Verbandes rasch bestätigt. Unter dem Motto »Gemeinsam stark« fordert er Bundesrat und Parlament zum Handeln auf: Ausbau des Sozialstaats stoppen, den Abschluss von Freihandelsabkommen vorantreiben, den bilateralen Weg mit der EU sichern, Energieversicherung garantieren, ausländische Investitionen ermöglichen, Bürokratie abbauen, Standortattraktivität steigern – der typisch liberale Forderungskatalog.

Heraus sticht allerdings die Forderung nach einer einsatzfähigen Armee und einer robusten heimischen Rüstungsindustrie. Das Parlament müsse im Herbst der geplanten Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes vollumfänglich zustimmen, meint Swissmem, die aktuell »sehr restriktiven Exportregeln« für Waffengeschäfte würden »nicht nur die hiesige Rüstungsindustrie in den Abgrund« stoßen, sondern »auch die Sicherheit der Schweiz gefährden«. Die Welt sei »heute eine andere als vor dem 1. August«, nun müsse »die ganze Gesellschaft« für die Exportindustrie einstehen – »zum Wohl für uns alle«.

Derweil hat sich auch die Sozialdemokratische Partei (SP) daran gemacht, den Freihandel zu retten. Sie möchte die USA über die WTO verklagen und bekräftigt ihre Forderung nach einer engeren Anbindung an das neoliberale Projekt der EU. Die 39-Prozent-Zölle seien die »direkte Folge einer kurzsichtigen und isolierten Außenwirtschaftspolitik«, die bilateralen Verhandlungen mit Brüssel seien rasch voranzutreiben, um »wirtschaftliche Stabilität und sozialen Zusammenhalt« zu sichern.

Zwar hat die SP in US-Präsident Donald Trump ihr neues Feindbild gefunden – strecke man ihm »den kleinen Finger hin«, nehme »er sich die ganze Hand« –, doch anstatt offensiv jede Abwälzung der Zölle auf Löhne und Lebensstandard der Massen zurückzuweisen, klammert sie sich an das Ideal offener Märkte. Politisch hat sie so jedoch nichts weiter zu bieten als die Flucht ins altbekannte, neoliberale Gefüge.

Freilich kämpft auch Swissmem weniger für das Wohl aller, als dass sie die Abwälzung der Folgen der Zölle auf die Arbeiter vorbereitet – mitunter über die Mobilisierung von Ängsten und patriotischen Gefühlen. Nennenswerter Widerstand formiert sich auch von gewerkschaftlicher Seite nicht. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) verlangt die Verlängerung der maximalen Kurzarbeitsdauer, eine Geldpolitik, die den Schweizer Franken gegenüber dem US-Dollar abwertet, sowie den Einbezug der Gewerkschaften in die unternehmerischen Entscheidungsprozesse.

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