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Aus: Ausgabe vom 27.08.2025, Seite 8 / Ansichten

Bayrous Pokerspiel

Regierungskrise in Frankreich
Von Bernard Schmid, Paris
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Unerwarteter Schritt: Mit dem Misstrauensvotum dürfte Bayrou auch das Ende seiner Regierung angekündigt haben (Paris, 25.8.2025)

Lange Gesichter zogen am späten Montag nachmittag buchstäblich gleich mehrere französische Regierungsmitglieder. Die Damen und Herren Minister waren offensichtlich im Vorfeld der Pressekonferenz des vom Rang her ersten unter ihnen, Premierminister François Bayrou, nicht vorgewarnt worden: Dass der ankündigen würde, die Vertrauensfrage zu stellen und dadurch eine vorgezogene Abstimmung über die Weiterexistenz seiner Regierung herbeizuführen, wussten sie nicht. Es zu erfahren, bedeutete aber auch, im selben Augenblick zu verstehen, dass ihre Tage im Amt nun gezählt sein dürften. Denn das Kabinett Bayrou droht die nun am 8. September anberaumte Vertrauensabstimmung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verlieren. Entsprechend konnten die Journalisten entgleisende Gesichtszüge bei einer Reihe hoher Amtsträger beobachten. Die dokumentierte betretene Miene von Wirtschaftsminister Éric Lombard beispielsweise sprach Bände.

Es ist tatsächlich unwahrscheinlich, dass der Christdemokrat Bayrou die Abstimmung am zweiten Montag im September gewinnt, nachdem er am 15. Juli ein Paket von Kürzungsmaßnahmen angekündigt und diese am Montag nochmals in ihren Grundzügen bekräftigt hatte. Um konkrete Beschlüsse ging es auf der Pressekonferenz nicht, der Nochpremier nutzte sie vielmehr dazu, die Zukunft Frankreichs bei Nichtannahme der Maßnahmen schwarz in schwarz auszumalen. Was also animierte ihn zu diesem politischen »Pokerspiel«, wie mehrere französische Medien es am frühen Dienstag morgen nannten?

Er könnte darauf hoffen, dass sich der rechte Parteiflügel des tief gespaltenen Parti Socialiste, der vor allem gegen Bündnisse mit La France insoumise (LFI) Sturm läuft, aus Abneigung gegen eine gemeinsame Abstimmung der parlamentarischen Linken mindestens zur Stimmenthaltung durchringt. Oder aber, dass sich in mehreren Lagern Abgeordnete finden, die individuell davon ausgehen müssen, dass ihre Wiederwahlchancen im Falle einer Parlamentsauflösung – wie Staatspräsident Macron sie beim Sturz seines Premiers infolge der verlorenen Vertrauensabstimmung anberaumen könnte, allerdings nicht muss – bei null liegen, und deswegen vom Neinstimmen absehen. Vielleicht sucht Bayrou aber auch nur nach einem in seinen Augen »ehrenvollen« Abgang, nachdem er der Bourgeoisie gezeigt hat, wie es gehen könnte, falls sie sich in näherer Zukunft zu einer härteren Gangart auch außerhalb bürgerlich-demokratischer Spielregeln entschließt.

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