Frankreichs Regierung wackelt
Von Bernard Schmid, Paris
Letztlich kam es nicht zur Konfrontation. Am Dienstag nachmittag sollte Frankreichs Premierminister François Bayrou anlässlich der Sommerendakademie des Gewerkschaftsbunds CFDT im Pariser Gewerkschaftshaus auftreten. Doch nach den jüngsten Kürzungsbeschlüssen der Regierung sowie der Pressekonferenz von Bayrou am Montag, bei der er die sozialen Einschnitte nochmals bekräftigte und überraschend eine Vertrauensabstimmung in der Nationalversammlung ankündigte, wuchs der Druck auf die CFDT. Gewerkschaften und linke Gruppierungen riefen zur Demonstration gegen Bayrou und die Einladung auf. Auf Flugblättern wurde das Gewerkschaftskürzel umgewandelt: »C’est fini de trahir« (»Schluss mit dem Verraten«). Flugs wurde das Treffen, das nun auch die CFDT-Spitze zumindest im Herzen von Paris als inopportun einzustufen begann, aber nicht absagen mochte, verlegt. Es fand dann im Schloss Bierville, das sich im Eigentum der CFDT befindet, 56 Kilometer südlich der Hauptstadt gelegen, statt. Auf dem Pariser Platz der Republik, nahe am Gewerkschaftshaus, kam es dennoch zu einer Demonstration.
Die CFDT bildet den derzeit formal mitgliederstärksten Dachverband in Frankreich, knapp vor dem historisch ältesten und weitaus linkeren in Gestalt der CGT. Allerdings diskutieren die CGT, die Basisgewerkschaften der Union syndicale Solidaires sowie die Bildungsgewerkschaft FSU seit Monaten über ihren Zusammenschluss zu einem gemeinsamen Verband, der die CFDT deutlich überflügeln würde. Bereits seit der erst sozialdemokratischen, dann neoliberalen Wende dieses Dachverbands in den 1980er Jahren ist die CFDT in ihrem Apparat und ihren Führungsetagen stark »sozialpartnerschaftlich« geprägt.
Laut der Ansage von Frankreichs Premier vom Montag soll die Vertrauensabstimmung am 8. September stattfinden. Dabei werden laut Geschäftsordnung nur die Ja- und die Neinstimmen zählen, Stimmenthaltungen werden nicht berücksichtigt. Mehrere Oppositionsparteien kündigten aus je eigenen Motiven jedoch gleich am Montag abend an, mit Nein zu stimmen. Dies trifft auf den neofaschistischen Rassemblement national (RN) zu, auf die linke Wahlplattform La France insoumise (LFI), aber auch auf den eher rechtssozialdemokratisch geprägten Parti Socialiste (PS). Stimmen deren Abgeordnete nun so, wie ihre Parteispitzen es wollen, dann kann Bayrou rein rechnerisch nicht gewinnen.
Die Motive sind dabei einander zum Teil diametral entgegengesetzt: LFI und PS möchten den maroden Staatshaushalt durch höhere Steuern für Unternehmen und Vermögende sanieren, ohne auf Kosten von Lohnabhängigen, Kranken oder öffentlichen Diensten zu sparen. Der RN dagegen will noch mehr Kahlschlag – und Verzicht und Opfer vorrangig auf »Ausländer« lenken. Einigkeit besteht nur darüber, dass man sich gegen die von Bayrou geplante Streichung zweier gesetzlicher Feiertage stemmt, im einen Lager im Namen des Rechts der Lohnabhängigen auf Erholung und Gesundheit, im anderen zum Schutz französischer Traditionen.
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