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Aus: Ausgabe vom 27.08.2025, Seite 6 / Ausland
Nahostkonflikt

Abschied von einem Aufrechten

Palästina: Abdeljawad Saleh war ein unbeirrter Kämpfer gegen Siedlerkolonialismus. Ein Nachruf
Von Helga Baumgarten, Jerusalem
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Kompromisslos gegen die israelische Besatzung: Abdeljawad Saleh (M.) im Palästinensischen Nationalrat (ohne Datum)

Abdeljawad Saleh aus Al-Bira, der Zwillingsstadt von Ramallah, war zeit seines Lebens ein Kämpfer für die Rechte der Palästinenser. Und das hieß für ihn immer: die Rechte aller Palästinenser, zuerst und vor allem der Ärmsten unter den Armen. Geboren am 3. Dezember 1931, studierte er politische Ökonomie an der Amerikanischen Universität in Kairo. Mit einem Bachelor kehrte er 1955 zurück und wurde 1967 zum Bürgermeister seiner Heimatstadt gewählt.

Nur wenige Monate nach seiner Wahl besetzte die israelische Armee im Junikrieg Restpalästina. Damit begann der Widerstand gegen die Besatzung. Abdeljawad war an vorderster Front dabei. Schnell erkannte er ein wesentliches Ziel der Besatzung: Beschlagnahmung von Land und Bau kolonialistischer Siedlungen. Er schlug deshalb den Gemeinderäten in Al-Bira vor, dass die Vertriebenen von 1948, die im Amari-Lager lebten, auf einem Berg östlich der Stadt angesiedelt werden. Damit wollte er zwei Probleme gleichzeitig lösen: die Überbevölkerung des Lagers unten in der Stadt und die Verhinderung israelischer Siedlungen direkt über Al-Bira.

Leider konnte er sich im Gemeinderat nicht durchsetzen. Dort gab es keine Sympathien für die Vertriebenen, keiner hatte den Weitblick von Abdeljawad. Heute platzt das Amari-Lager aus allen Nähten. Und auf dem Dschabal Tawil, so der Name des Berges, thront die israelische Siedlung Psagot über Al-Bira. Von dort wurde die Stadt nicht nur einmal beschossen.

In Al-Bira organisierte Abdeljawad Demonstrationen und Auftritte zum Beispiel von Mustafa Al-Kurd mit seinen politischen Liedern gegen die Besatzung. Als Bürgermeister stritt er fast ständig mit den verantwortlichen Militärs für die Rechte der Palästinenser. 1973 war es dann soweit: Er wurde zusammen mit zahlreichen anderen palästinensischen Aktivisten, darunter auch der Präsident der Universität Birzeit, Hanna Nasir, ausgewiesen. Die meisten »Ausgewiesenen« blieben in Jordanien. Abdeljawad sah seinen Platz in Beirut, wo die PLO inzwischen mit allen palästinensischen Widerstandsorganisationen unter der Führung von Jassir Arafats Fatah ihr Hauptquartier hatte. Er wurde Mitglied im Palästinensischen Nationalrat, dem Exilparlament, und 1974 ins Exekutivkomitee der PLO gewählt. In jenem Jahr verlor er seinen Sohn Maher, der im Widerstand aktiv war.

1981 attackierte die israelische Armee Libanon und drang bis Beirut vor. Sie zwang die PLO und alle bewaffneten Organisationen zum Abzug. Die PLO schlug ihr neues Hauptquartier in Tunis auf. Abdeljawad aber blieb in der Region und ging zurück nach Amman. Dort konnte ich ihn regelmäßig besuchen und mit ihm über die Lage in Palästina, in Jordanien und in der gesamten Region diskutieren.

Der große Umschwung kam mit den Madrider Verhandlungen und Oslo. Die 1973 Ausgewiesenen durften 1993 in das besetzte Palästina zurückkehren, darunter Hanna Nasir, der Präsident von Birzeit, und Abdeljawad Saleh. In den ersten Wahlen von 1996 wurde Abdeljawad zum Abgeordneten gewählt. Er übernahm das Landwirtschaftsministerium in der ersten Regierung Arafat. Aber schon nach kurzer Zeit gab es Differenzen zwischen ihm und Arafat. Dieser wollte Konflikte vermeiden. Abdeljawad stand für eine Politik des Widerstandes gegen die Besatzung und gegen den israelischen Siedlerkolonialismus. Im Agrarressort betrachtete er die Verteidigung des Landbesitzes als seine zentrale Aufgabe.

Sein Rücktritt 1998 war damit programmiert. Abdeljawad repräsentierte von da an die Opposition gegen Arafats verhängnisvollen Kurs und die Fatah. Er hielt Vorträge, immer wieder auch an der Universität Birzeit, und in den letzten Jahren seines Lebens schrieb er an seinen Erinnerungen. Wie jede radikale Opposition wurde er zusehends marginalisiert, unter Arafats Nachfolger Mahmud Abbas noch viel stärker als zuvor. Abdeljawad Saleh verstarb hochbetagt im Alter von 94 Jahren am vergangenen Sonnabend in Al-Bira. Bis zum Ende war er seinen Prinzipien treu geblieben und den aufrechten Gang gegangen.

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