Gegründet 1947 Sa. / So., 11. / 12. Oktober 2025, Nr. 236
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 27.08.2025, Seite 5 / Inland
Krise der Automobilindustrie

Branchenprimus bei Stellenstreichungen

Industrie streicht 114.000 Stellen binnen Jahresfrist. Hälfte davon in Automobilbranche
Von Gudrun Giese
2025-08-07T073432Z_1941311696_RC2KVEAG2A94_RTRMADP_3_GERMANY-ECO
Bilanz in der Autobranche: Minus 51.500 Stellen im zurückliegenden Jahr

Arbeitsplätze werden inzwischen jeden Tag gestrichen. Die meisten davon in der Automobilindustrie. Laut einer Analyse der Beratungsgesellschaft EY, die auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes zurückgreift, sind innerhalb eines Jahres in dieser bundesdeutschen Kernbranche rund 51.500 Stellen abgebaut worden.

Die Automobilindustrie hat sich lange Zeit als Branchenprimus geriert. Nun bekommt die Bezeichnung einen anderen Beigeschmack. Die binnen Jahresfrist weggefallenen Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftszweig entsprechen nahezu sieben Prozent der Stellen dort. Keine andere Branche habe in diesem Zeitraum mehr Jobs abgebaut, berichtete tagesschau.de am Dienstag. Zum 30. Juni dieses Jahres waren zirka 5,42 Millionen Menschen in der deutschen Industrie beschäftigt; das entsprach einem Minus von 114.000 oder 2,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Seit 2019 seien rund 245.000 Industriearbeitsplätze gestrichen worden, was einem Rückgang von 4,3 Prozent entspreche. Die Geschäftsbedingungen seien seitdem anhaltend schwierig, so dass etwa die Industrieumsätze im zweiten Quartal dieses Jahres 2,1 Prozent geringer ausfielen als im Vorjahr, so EY. Das sei der achte Rückgang in Folge. Bis auf die Elektroindustrie hätten alle Industriebranchen ein Minus verzeichnet.

Die Automobilindustrie blieb allerdings mit 1,6 Prozent weniger Umsatz über dem Durchschnitt, baute dennoch überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze ab. Volkswagen, Mercedes und die übrigen Konzerne litten unter rückläufigem Absatz, der kostengünstigeren Konkurrenz aus China und misslungenen Versuchen beim Umstieg auf Elektromobilität. Obendrein würden die hohen Energiepreise, die überbordende Bürokratie und der Zollstreit mit den USA die deutschen Exporte verteuern, heißt es in der Analyse. Autohersteller und auch Zulieferer wie Bosch und Continental wollen nun vor allem mit Sparprogrammen die Kosten drücken. Der Luxusautohersteller Porsche hat Anfang der Woche die weitgehende Stillegung seines Tochterunternehmens Cellforce angekündigt, das eigentlich die Batterieproduktion voranbringen sollte. Für die Entwicklung dieses Produktionszweiges hat Porsche seit 2021 etliche Millionen Euro aus Steuermitteln erhalten. Nun werden die meisten der insgesamt 280 Arbeitsplätze am Standort Kirchentellinsfurt in Baden-Württemberg gestrichen.

Aus Sicht von Jan Brorhilker von EY sei der Arbeitsplatzabbau in der Automobilindustrie und weiteren Branchen angesichts massiver Gewinneinbrüche, Überkapazitäten und schwächelnder Auslandsmärkte »unumgänglich – gerade in Deutschland, wo Management-, Verwaltungs- und F&E-Funktionen angesiedelt sind«, zitierte ihn tagesschau.de. F&E bedeutet »Forschung und Entwicklung«, ein lange Zeit bedeutender Sektor in der Bundesrepublik. Stark vom Arbeitsplatzabbau betroffen sind mit über 17.000 Stellen auch der Maschinenbau und mit mehr als 12.000 die Metallerzeugung. Als relativ stabil erweist sich derzeit die Chemie- und Pharmabranche. Insgesamt leide die deutsche Industrie unter hohen Energiekosten, zuviel Bürokratie, schwacher Binnennachfrage und rückläufigem Export als Folge der US-Zollpolitik. Brorhilker von EY erwartet die Fortsetzung des Abwärtstrends bei den Industriejobs. Für Schul- und Hochschulabsolventen seien das schlechte Nachrichten, da Autohersteller und Maschinenbaufirmen deutlich weniger Nachwuchskräfte einstellten als in den vergangenen Jahren. Der Arbeitsmarkt für junge Ingenieure entwickele sich rückläufig, so dass mit einer wachsenden Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolventen zu rechnen sei.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.