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Aus: Ausgabe vom 27.08.2025, Seite 5 / Inland
Artbeitskampf in der Bierbranche

Oettinger will mies bezahlen

Warnstreik bei Brauerei: Geschäftsführung bietet Lohnerhöhung unter Inflationsrate bei schlechteren Bedingungen
Von David Siegmund-Schultze
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Billigbier im Absatztief: Oettinger setzt dehalb verstärkt auf Mischgetränke (Oettingen, 1.12.2023)

Im ersten Jahr 1,2 Prozent Lohnerhöhung, im zweiten dann 0,38 Prozent. Das bietet die Geschäftsleitung der Oettinger-Brauerei ihren Beschäftigten nach ganzen drei Verhandlungsrunden an. Deswegen hatte die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) ab der Nacht zu Montag zu einem 49stündigen Warnstreik an allen Standorten des Unternehmens aufgerufen. »Das sind mickrige Zahlen, sogar ein Minusgeschäft«, sagte NGG-Sekretär Fouad Laghmouch im Gespräch mit junge Welt. Denn: »Eine solche Lohnerhöhung würde nicht einmal die Inflationsrate ausgleichen.« Im vergangenen Jahr lag diese bei 2,2 Prozent, und auch für 2025 soll die Preissteigerung laut Schätzung der Europäischen Zentralbank bei mehr als zwei Prozent liegen. Das ist jedoch nicht die einzige Enttäuschung aus Sicht der Beschäftigten.

»Die Geschäftsführung hat gesagt: Erst wenn ihr Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen zustimmt, bieten wir die Lohnerhöhung an«, so Laghmouch. Konkret heißt das: Kürzungen beim Urlaubs-, Weihnachtsgeld und beim Krankengeldzuschuss sowie schlechtere Pausenregelungen. Außerdem sollen ältere Beschäftigte weniger Entlastungstage bekommen und Erholungstage bei Schichtarbeit gestrichen werden. Die Beschäftigten in Mönchengladbach, neben dem Stammsitz in Oettingen und dem Werk in Braunschweig der dritte Produktionsstandort des Unternehmens, sollen sogar unbezahlt eine Stunde in der Woche mehr arbeiten. »Die Geschäftsleitung besteht darauf, dass über die im Manteltarifvertrag festgelegten Arbeitsbedingungen verhandelt wird, obwohl es eigentlich um den Entgelttarifvertrag geht«, so Laghmouch. »Das ist eine Drohnug; die halten uns die Pistole auf die Brust. Bei den Verhandlungen kamen sie nicht ansatzweise auf uns zu.«

Die Kernforderung der NGG ist eine Lohnerhöhung um 6,6 Prozent. Doch davon will Geschäftsführer Stefan Blaschak nichts wissen: »Gerade in einer immer schwächer werdenden Branche« sei »eine Lohnerhöhung der Arbeitgeberseite ohne Leistungserhöhung auf seiten der Arbeitnehmer« kein zukunftsfähiges Modell, sagte er gegenüber der Süddeutschen Zeitung (SZ). Dass in der BRD immer weniger Bier getrunken wird, dient ihm als Grund für die miserablen Konditionen, die er den Beschäftigten aufdrücken will. Zeitlich passend prophezeite er am Dienstag gegenüber der Augsburger Allgemeinen gar eine Pleitewelle bei Brauereien – diese würden in den kommenden Jahren »wie Fliegen von der Wand fallen«. Tatsächlich sinkt der Bierkonsum seit Jahrzehnten; 2024 um zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gleichzeitig steigt jedoch auch der Absatz von alkoholfreiem Bier und Mischgetränken.

Die NGG sieht deshalb die Geschäftsleitung für den Umsatzrückgang in der Verantwortung: »Wir erwarten, dass die Chefetage nicht bei den Beschäftigten streicht, sondern statt dessen ihren Job macht und den Absatzrückgang in den Griff bekommt«, wird Sekretär Alexander Nimptsch in einer Pressemitteilung zitiert. Der am Sonntag bekanntgegebene Tarifabschluss in der Brauindustrie in Sachsen und Thüringen zeigt außerdem, dass merkbare Lohnerhöhungen in der Branche möglich sind. Die Beschäftigten konnten nach zweiwöchigem Streik einen Anstieg des Stundenlohns um 7,7 Prozent erkämpfen – es war der erste Streik bei Brauereien in Sachsen seit 30 Jahren. Die Geschäftsführung von Oettinger droht hingegen damit, das Werk in Braunschweig einzustellen und die 130 Beschäftigten dort zu entlassen. Bei den Tarifverhandlungen legte sie für den Standort überhaupt kein Angebot mehr vor.

Das wollen die Arbeiter der Oettinger-Werke nicht einfach so hinnehmen. In Braunschweig soll am Mittwoch vor dem Werkstor demonstriert werden, in Mönchengladbach fand bereits am Dienstag eine Kundgebung statt. Und bis Dienstag nacht sollte der Warnstreik andauern. »Alle Standorte liegen zeitgleich still – die Produktion, die Außenlager, der hauseigene Fuhrpark«, so Laghmouch. Blaschak sagte gegenüber der SZ, dass dadurch keine Lieferengpässe entstünden, man habe noch genug Ware gelagert. Dem widersprach der NGG-Sekretär: »Wenn der Fuhrpark stillsteht, wird die Ware Montag nacht definitiv nicht zu den Kunden gekommen sein.« Außerdem kündigte er an: »Wenn die Geschäftsführung nicht auf uns zukommt, wird es weitere Arbeitskampfmaßnahmen geben. Das ist erst der Anfang, da ist noch Luft nach oben.«

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