Trumps Brandbeschleuniger
Von Holger Elias
Texas, Spätsommer, 35 Grad Celsius im Schatten. Der Staub klebt wie Mehlteig an der Haut, aus der Ferne hämmert es aus einem Schießstand dumpf gegen den Himmel. Auf einer Waldlichtung pflanzen Männer mit kahlrasierten Schädeln Fahnen in den Boden: Runen, Hakenkreuze, ein Schädel-Emblem. Dazwischen das Banner einer Gruppe, die sich »Aryan Freedom Network« (AFN) nennt. Ein Lautsprecher kratzt. »White power!«, brüllt einer ins Handmikrofon; die Antwort schwappt über die Wiese wie ein kurzer, zorniger Chor. Keine Massen. Vielleicht fünfzig Leute, eher weniger. Aber in den Telegram-Kanälen wirkt die Szene wie ein Triumphzug: im Takt geschnittene Bilder, prägnante Parolen, das Video wandert in die nächste Chatgruppe, die nächste Timeline, das nächste Land.
Dass solche Aufmärsche 2025 nicht mehr wie exotische Randnotizen wirken, liegt auch an einem Mann, der 3.000 Kilometer entfernt regiert: Donald Trump. Seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus spricht der Präsident wieder von »Invasionen« über die Südgrenze, von »verbrecherischen Migranten« und »westlichen Werten«, die es »zu verteidigen« gelte – Worte wie Steine, geworfen in einen Diskurs, der ohnehin unter Spannung steht. »Trump hat den weißen Suprematismus nicht erfunden, aber er hat ihn normalisiert«, sagt Heidi Beirich, Mitgründerin des Global Project Against Hate and Extremism, auf Anfrage dieser Zeitung. Gruppen wie das AFN, so Beirich, profitieren davon, weil sich ihre Ideologie »legitimer« anfühlt.
Kaderprojekt mit Fackeln
Das »Aryan Freedom Network« ist kein Massenphänomen, sondern ein Kaderprojekt. Es rekrutiert aus einschlägigen Milieus – darunter ehemalige Klan-Aktivisten – und organisiert sich nach dem »Familien«-Prinzip: enger Kern, loyale Kreise, lose Sympathisanten. Die Führung inszeniert sich als rassistisches »Königspaar«, das alte Symbolik – Fackeln, Swastikas, Runen – mit der Ästhetik der Plattformen verbindet: knapp geschnittene Videos, martialische Musik, Memes mit Reichweite.
Bei öffentlichen Aktionen wirkt das Kollektiv wie eine Mischung aus Männerbund und Laienspieltruppe: weiße Masken, Tarnklamotten, choreographierte Bilder. Die Aufmärsche umfassen selten mehr als einige Dutzend Teilnehmer, aber digital vervielfachen sich die Bilder. In den Kanälen wird aus dem Dorfaufzug eine »Bewegung«. Aus dem Selfie vor dem brennenden Hakenkreuz wird ein Symbol. Aus wenigen Figuren wird ein Netzwerk.
Wer behauptet, das AFN sei nur eine schrille Fußnote, sollte die Datenspur lesen. Das Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED) hat die Jahre 2020 bis 2024 ausgewertet. »Ja, diese Zahlen sind korrekt und Teil unseres offiziellen Datensatzes«, bestätigt Kieran Doyle, North America Research Manager bei ACLED. Er verweist auf jene Subsektion, die extremismusbezogene Demonstrationen und politische Gewalt erfasst – von Protesten über Riots bis zu Angriffen auf Zivilisten – und zwar anhand der Selbstbezeichnungen der Akteure (White Supremacists, White Nationalists, National Socialists).
Die Proportionen zeigen eine tektonische Verschiebung: 2020 entfielen 57 von 438 extremismusbezogenen Ereignissen auf die genannte Szene (rund 13 Prozent). 2021: 110 von 502 (21,9 Prozent). 2022: 181 von 434 (41,7 Prozent). 2023: 180 von 266 (67,7 Prozent). 2024: 154 von 195 (79 Prozent). Weiße Nationalisten rückten im Beobachtungsfenster der extremistischen Vorfälle vom Rand in die Mitte – nicht absolut, aber relativ zur Gesamterhebung.
Trumps Vermächtnis
Die Statistik erklärt die Wucht, die Politik das Klima. Seit 2016 steht in den USA das Overton-Fenster – der Rahmen des Sagbaren – weiter offen als zuvor. Wo einst verschworene Foren »white replacement« raunten, sprechen heute Abgeordnete vom »Ersetztwerden«. Prominente Moderatoren und Podcaster zogen den »Great Replacement« in die Primetime. Die Chiffre läuft als Dauerschleife in Talkradio, Kurzclips, Kommentarspalten.
Trump selbst sprach im Wahlkampf 2024 von Migranten, »deren Gewalt in den Genen liegt«. Es blieb nicht bei der Rhetorik. Exekutivmaßnahmen gossen den Ton in Regelwerke: Die »Remain in Mexico«-Politik (Migrant Protection Protocols) zwang Asylsuchende, monatelang in prekären Grenzlagern auszuharren; unter »Zero Tolerance« wurden Familien systematisch getrennt; Asylprüfungen wurden teils in Drittstaaten externalisiert; Immigration-Razzien setzten sichtbare Drohkulissen – auch in »Sanctuary«-Städten. Für Gruppen wie AFN ist das doppelt wirksam: Nach innen klingt die Härte wie Bestätigung, nach außen verschiebt sie die Normalitätsgrenze.
Ein Beispiel für die Wirkungskette von Worten zu Taten: In Buffalo, New York, erschoss 2022 ein 18jähriger zehn Schwarze in einem Supermarkt. In seinem Manifest berief er sich ausdrücklich auf den »Great Replacement«. Wenn ähnliche Codes wenig später auf Parteitagen durchs Mikrofon gehen, verschmelzen Randmythos und Parteirhetorik.
Radikalisierung verläuft selten im Sprung, meist im Tritt. Die »Proud Boys« funktionieren als Brückengruppe: nach außen patriotisch, im Kern straßenkampferprobt. »Eine Art Einstiegsdroge«, sagt Beirich. »Viele landen später in den Active Clubs, die offener neonazistisch auftreten.« Zellenartig organisiert, verbinden diese Clubs Kampfsport mit Ideologieschulung. Wer dort trainiert, taucht nicht selten bei AFN- oder »Patriot Front«-Treffen auf. Das Muster ist bekannt: Bürgerwehr spielen, Gewalt normalisieren, Rassenkrieg phantasieren – in kleiner Dosis, aber regelmäßig.
Dass die »Proud Boys« mitunter als »halbwegs bürgerlich« durchgehen, ist Teil des Problems. Ein »Proud Boy« wirkt harmloser, wenn man ihn neben einen Neonazi im Hakenkreuz-Shirt stellt. Genau das ist der Effekt: Normalisierung nach rechts. Die rote Linie wird zum grauen Streifen, über den man mit einem Achselzucken schreitet.
Das AFN marschiert nicht im politischen Vakuum. Der Resonanzboden ist amerikanisch: das Second Amendment der Verfassung über das Recht auf Waffenbesitz als Identitätskern; Schießstände als Treffpunkte; Sheriffs, die sagen: »Solange keine Gesetze gebrochen werden, haben wir keine Handhabe.« In Teilen der white-evangelical Szene verschmelzen Bibelverse mit Nationalismus, gelegentlich mit rassischer Auserwählung. Historikerinnen wie Kathleen Belew sprechen von »kultureller Rückendeckung«. Dazu kommt ein Veteranenmilieu, in dem Kameradschaft, Disziplin und Sinnsuche nach Irak oder Afghanistan andocken – nicht zwangsläufig, aber oft genug, um Aktivisten verlässlich rekrutieren zu können.
Das AFN ist klein an Zahlen, aber groß an Wirkung. Die Mischung aus Trump-Rhetorik, digitaler Inszenierung und realer Gewaltbereitschaft schafft einen Resonanzraum, in dem Neonazismus nicht mehr als Fremdkörper wirkt. Nicht die Größe der Szene ist neu – ihre Normalisierung ist es.
Digitale Rekrutierung
Der Weg nach innen beginnt oft harmlos: ein Clip mit brachialer Musik, ein Meme über »westliche Werte«, eine Einladung in einen Chat. Dort warten PDF-Broschüren, Leselisten, Trainingspläne – und der Ton kippt schnell von kulturkritisch zu biologistisch. In den AFN-Kanälen kursieren Handreichungen, wie man nachts plakatiert, welche Parolen auf Flugblättern ziehen, wie man an Schießstandtermine kommt. Das sind keine genialen Strategen, sondern Fleißarbeiter der Agitation. Aber sie sind verlässlich: jede Woche ein Bild, jeden Monat ein Treffen, jedes Quartal ein »Aryan Fest« irgendwo im Wald.
Viele Kommunen unterschätzen die Szene, weil die Aufzüge klein sind und der Rest digital stattfindet. Der Schaden entsteht nicht im Scheinwerferlicht, sondern in der Routine: Wer jede Woche dieselben Feindbilder serviert bekommt, hält sie irgendwann für Alltag. Genau darauf zielt die Normalisierung – nicht auf den Schock, sondern auf die Gewöhnung. Der transatlantische Transfer läuft dabei beidseitig: Während Identitäre in Europa Memetik und Lifestyle-Ästhetik einführten, übernimmt das AFN deren Medienhandwerk – nur mit US-amerikanischem Pathos und Zugriff auf eine ausgebaute Waffenkultur. Ergebnis: ein Hybrid, der nach außen schrill wirkt, nach innen aber Disziplin einfordert – erscheinen, trainieren, posten, rekrutieren.
Es ist nicht so, dass die Behörden blind wären. FBI und Department of Homeland Security vermerken seit Jahren, dass rechtsextreme »domestic violent extremists« die persistenteste Bedrohung der inneren Sicherheit darstellen. Auf Anfrage erklärte die FBI-Pressestelle, man kommentiere »laufende Ermittlungen« nicht. Formal korrekt – und doch symptomatisch.
Eine Teilschuld hat das föderale System: Viele einschlägige Delikte – Bedrohung, Körperverletzung, Waffenrecht – liegen zunächst bei den Bundesstaaten. County Prosecutors entscheiden, ob sie Anklage erheben, Sheriffs, ob sie Präsenz zeigen. In konservativ regierten Staaten ist die Schwelle für ein hartes Vorgehen oft höher. Zwar existieren in einigen Staaten »Anti-militia«-Bestimmungen, die private bewaffnete Verbände untersagen; genutzt werden sie selten – aus Rechtsunsicherheit, aus Ressourcenmangel, aus politischer Scheu.
Der Konflikt berührt Kernmilieus der Republikanischen Partei. In ländlichen Regionen gelten Milizen und selbsternannte »Patrioten« mancherorts als übermotivierte Nachbarn, nicht als Staatsfeinde. Wer Trump frontal kritisiert, verliert womöglich die Vorwahl; wer schweigt, bleibt im Spiel. So entsteht ein doppelter Standard: Linke Proteste werden streng unterbunden, rechte Milieus erhalten semantische Schonräume. Der 6. Januar 2021 mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington steht als Mahnmal dafür, wie gefährlich diese Schieflage ist.
Trumps zweite Amtszeit revidierte den Kurs der ersten nicht, sie straffte ihn: Abschreckung an der Grenze, schnellere Negativentscheidungen in Grenzverfahren, erneut Druck auf »Sanctuary«-Städte, Absprachen mit Drittstaaten, die Asylprüfungen auslagern. Für Szenen wie das AFN ist das ein politischer Rückenwind: Der Staat spricht die Sprache der Härte, und Härte, einmal zur Normalität geronnen, macht die Eskalation zur vermeintlichen Logik.
Konservative Talkradios, Podcasts, TV-Kanäle wie OANN oder Newsmax übersetzen Angst in Dauerton: »Invasion«, »Kriminalität«, »Grenze«. In manchen White-Evangelical Gemeinden verschmelzen Frömmigkeit und Nationalismus zu einer Theologie der Auserwähltheit. Auf Schießständen wird Bürgersinn geübt; in Telegram-Chats die Feindbildkunde. So entsteht eine robuste Infrastruktur der Gewöhnung.
Beispiele: Kentucky: Über Monate tauchen »White Unity«-Flyer in Vorgärten auf – nachts verteilt. Polizei ermittelt, findet aber keinen Straftatbestand: Rede, Papier, legal.
Dallas-Vorort: Zwei Dutzend Männer marschieren in Tarnkleidung und tragen Masken. Die Stadtverwaltung schweigt; erst nach großem Druck von Southern Poverty Law Center und Anti-Defamation League folgt ein blasses Statement.
Idaho: Wiederkehrende Active-Club-Trainings. Als eine Sporthalle ihre Vermietungsregeln ändert, reißt die Serie ab. Kleine Intervention, große Wirkung: Das Netz zieht weiter – und verliert Reichweite.
Demokratien sterben selten im Donner eines Putsches. Meist sterben sie leise: im Knirschen verschobener Begriffe, im Räuspern von Behörden, die das Wort »Nazi« scheuen, im Applaus für »harte Politik«, die Leid zur Methode macht. Das »Aryan Freedom Network« ist keine Massenbewegung; es ist ein Seismograph. Seine Fackeln leuchten nicht, sie verrußen die Luft. Wer sie für Folklore hält, wird am Ende fragen, warum die Fenster so schwarz sind.
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