Mit geeinter Stimme
Von Dieter Reinisch, Baalbek
»Falls es morgen nicht sicher ist, dann gebe ich Bescheid«, sagt der Gastgeber am Telefon. Erst Mitte August waren in der Bekaa-Ebene um die ostlibanesische Stadt Baalbek mehrere Personen durch israelische Drohnen verletzt und getötet worden. Doch diesmal bleibt alles ruhig. Am nächsten Morgen werden wir frühs aus dem Westen Beiruts abgeholt. Durch den christlichen Osten geht es hinauf in die Berge: Fahnen der schiitischen Gruppen wechseln sich ab mit jenen der christlichen Forces Libanaises und Bildern des Drusenführers Walid Dschumblat.
Mit der Abfahrt in das Hochtal hinein hören christliche politische Symbole auf, entlang der Straßen nun ausschließlich die gelben Fahnen der Hisbollah und die grünen der mit ihr verbündeten Schiitenbewegung Amal. Beide Seiten der Fahrbahnen sind mit Bildern von Gefallenen gesäumt – vor allem jenen, die im Herbst 2024 gestorben sind. Neben dem Süden des Libanon und den südlichen Vororten Beiruts wurde besonders die Bekaa-Ebene um Baalbek von Israel bombardiert. Die Gegend zählt zu den Hochburgen der schiitischen Hisbollah. Bis vor knapp einhundert Jahren war Baalbek mehrheitlich sunnitisch. Dann wanderten Schiiten aus den umliegenden Dörfern in die Stadt. Heute zählt die Stadt ca. 85.000 Einwohner, davon rund 60 Prozent Schiiten, 25 Prozent Sunniten und 15 Prozent Christen, Maroniten wie Orthodoxe.
Baalbek liegt auf über 1.000 Meter Höhe. Zum Frühstück geht es zu einem Scheich. An der Wand hängt das Foto eines jungen Mannes, dahinter sind schneebedeckte Berge zu sehen. »Das ist mein Neffe, er wurde von Israel ermordet«, erzählt er. Er sei einer der ersten gewesen, die nach dem Beginn des Krieges zwischen Israel und den schiitischen Milizen und ihnen verbündeten Gruppen im September 2024 von einer israelischen Drohne ermordet wurde. Nach dem Frühstück geht es weiter zum Sayyida-Khawla-Schrein. Hier wird der jungen Tochter von Imam Hussein, einer zentralen Figur in der schiitischen Glaubenslehre, gedacht. Sie soll mit anderen Frauen und Kindern nach der Schlacht von Kerbala im Jahr 680 in Gefangenschaft genommen worden und bei Baalbek gestorben sein.
Bevor es in den Schrein geht, steht im Innenhof ein Museum der Hisbollah. Am Eingang hängt eine Fahne der Islamic Resistance Support Association, daneben ein Bild von Georges Ibrahim Abdullah, des libanesischen Widerstandskämpfers, der erst vor wenigen Wochen nach 40 Jahren in französischer Haft freigelassen wurde. Innen werden mit Hilfe von Spielzeugfiguren Verstecke und Nachschubrouten der Organisation nachgestellt. An den Wänden finden sich neben den schiitischen Führern und Märtyrern auch Fotos von Politikern, mit denen sich die Bewegung solidarisch zeigt: Ghassan Kanafani, Georges Habasch, Che Guevara, Fidel Castro.
Nach einem Zwischenstopp bei der imposanten römischen Tempelanlage für Jupiter, Merkur und Bacchus – eine der größten der Antike – geht es weiter zur Gedenkstätte von Safija. Auch sie soll eine Tochter von Imam Hussein gewesen sein. Erst 1967 wurde hier der erste Schrein gebaut: »Als ich das letzte Mal hier war, war alles viel kleiner«, sagt ein Begleiter. Ein Passant erklärt, dass die moderne Anlage erst 2018 von der Hisbollah errichtet wurde. Auf dem Rückweg zeigt der Fahrer mehrere von Israel zerbombte Wohnhäuser. Nahezu in jeder Straße befindet sich eines. Danach geht es zu einer Shishabar mit Blick auf die Stadt: »Sie war doppelt so groß, doch der untere Teil ist nun geschlossen«, erzählt der Besitzer. Ein Zinshaus, das ihm gehörte, wurde zerstört, nun kann er es sich nicht mehr leisten, die gesamte Bar offenzuhalten.
Kritik an der Hisbollah oder Amal ist in Baalbek auf der Reise nicht zu vernehmen. »Berri vertritt die Interessen aller Schiiten. Das stärkt sie. Sie sind heute die einzige Konfession im Libanon, die mit geeinter Stimme spricht«, erklärt ein Gast. Nabih Berri ist seit 1992 Parlamentssprecher im Libanon, ein Posten, der den Schiiten zusteht. Der Politiker vertritt die Amal. Kaum jemand im Land – auch nicht die Schiiten – leugnen, dass Amal und Hisbollah im Krieg einen harten Schlag erlitten haben. Doch davon ist in Baalbek kaum etwas zu merken.
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