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Aus: Ausgabe vom 25.08.2025, Seite 4 / Inland
Proisraelische Provokationen

Hetze, Schläge, Feuer

Frankfurt am Main: Brandanschlag auf »Internationalistisches Zentrum«. Proisraelische Störer gegen »System Change Camp«
Von Ben Francke, Frankfurt am Main
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Austausch über Gaza im Frankfurter Grüneburgpark: Das passt nicht allen (Donnerstag)

Ist die Staatsgewalt zu langsam, setzt manch einer auf Selbstjustiz: Das von der Räumung bedrohte »Internationalistische Zentrum« in einem besetzten Gebäude in der Frankfurter Lahnstraße wurde am Sonnabend Ziel eines mutmaßlichen Brandanschlags. »Es wurde bei der Hintertür Feuer gelegt«; ein Passant habe Personen wegrennen sehen, das Feuer »mit Mühe gelöscht und sich dabei leicht verletzt«, teilten die Besetzer in der Nacht zum Sonntag auf der Onlineplattform Instagram mit. Fotos zeigen eine vom Brand beschädigte Tür samt Palästinafahne. »Das ganze Gebäude hätte brennen« und »Menschen hätten sterben können«, hieß es weiter. Das Polizeipräsidium Frankfurt am Main kündigte Ermittlungen wegen Brandstiftung an.

Auch rund um das aktuell in Frankfurt stattfindende »System Change Camp« kommt es seit Tagen zu Auseinandersetzungen zwischen palästinasolidarischen Zeltenden und proisraelischen Störern. In einer Mitteilung vom Sonnabend erklärten die Camporganisatoren, dass »Vertreter*innen von konservativen Parteien wie FDP und CDU sowie Personen aus dem Umfeld von Honestly Concerned e. V.« – ein proisraelischer Verein – gegen die »angemeldete politische Versammlung im Grüneburgpark« agitierten und »gewaltvoll« in die Versammlungsfreiheit eingriffen.

Der Höhepunkt sei am Freitag erreicht worden, »als Campteilnehmende geschlagen und getreten wurden, woraufhin diese die Angreifenden mit Farbe bewarfen«, so die Mitteilung. Pressesprecher Sebastian Blessing bestätigte am Freitag gegenüber junge Welt mehrere Vorfälle: Einem Besucher sei eine Kufija entwendet und eine weitere Person tätlich angegriffen worden; zudem sei die zentrale Wasserleitung sabotiert und ein Palästina-Themenzelt attackiert worden. Auch dabei sei eine Person »mit der Faust geschlagen« worden.

Anders berichtete am Freitag die FAZ. Eine »Gruppe Juden« sei mit roter Farbe attackiert und als »Mörder« beschimpft worden. Die Polizei meldete selbentags die Aufnahme »entsprechender Strafanzeigen« und kündigte mehr Präsenz am Camp an. Unter den Betroffenen war Sacha S., Vorsitzender von »Honestly Concerned«, der nach eigenen Angaben für eine »wahrhaftige Berichterstattung über Israel, Juden und jüdische Themen« eintritt. In einer im Februar veröffentlichten Rede erklärte S., im Gazastreifen sei »eine Generation von entmenschlichten Wesen systematisch herangezüchtet« worden, die »den Tod feiern«. Zudem hätten diese »gelernt, dass es nichts Heiligeres gibt, als Märtyrer zu werden«. S. forderte eine »Entnazifizierung« Gazas. Auf Instagram stellte er Anfang August in Frage, dass es in Gaza eine Hungersnot gibt.

Zuvor sollen im Grüneburgpark Plakate entfernt worden sein, die von Campgegnern angebracht worden seien und an von der Hamas festgehaltene Geiseln erinnerten. Wer diese abreiße, offenbare »blanken, puren Hass«, so der proisraelische Publizist Ahmad Mansour am Donnerstag auf der Onlineplattform X. Der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, erkundigte sich am Freitag auf X nach der Identität des verantwortlichen Campteilnehmers und ob er eine »Nähe zu fdGO-feindlichen Organisationen« habe. Die Antwort wusste die ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth am Sonnabend. Sie veröffentlichte den Namen des Aktivisten, seinen Arbeitsplatz und weiteres auf X und sinnierte darüber, »welche Verwerfungen es in Köpfen anrichtet, wenn rationale kritische, auch marxistische Theorien an der Frankfurter Uni verfallen« und sich mit »irrationalem, in Teilen antisemitischem Gedankengut aus Schrottbewegungen« zusammenfinden.

Nach der Einschätzung von Campsprecher Blessing handelte es sich um Provokationen durch dieselben Akteure, die sich »gegen unsere Solidarisierung mit den Betroffenen des aktuell stattfindenden Völkermords an Palästinenser*innen« richteten. Er kritisierte die Anschuldigungen gegenüber dem Camp und rief dazu auf, »möglichst in einen respektvollen und konstruktiven Austausch zu treten und angespannte Situationen zu deeskalieren«.

Bereits vor Beginn des Camps hatte die FDP dieses für »ideologisch aufgeladen« erklärt; der Grüneburgpark sei »keine Bühne für Antisemitismus«. Auch der Vorstand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt bezeichnete die Genehmigung des Camps zuletzt als »geschmacklos« und als eine »politische Fehlentscheidung«. Zur Begründung verwies er unter anderem auf die Nähe zur Westendsynagoge sowie auf vermeintliche »Hetze gegen Israel«.

Das »System Change Camp« ist aus der Klimabewegung hervorgegangen. Nach Angaben der Sprecher versteht es sich dieses Jahr als Bildungs- und Vernetzungsort; auch der Verein »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« und das »radikal jüdisch Bildungskollektiv« nehmen teil. Protestaktionen soll es keine geben.

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