Arme in den Knast
Von Max Grigutsch
Mehrfach ohne Fahrschein Bus gefahren – und dafür in den Knast? Wer die Geldstrafe nicht zahlen kann, muss hinter Gitter. Ersatzfreiheitsstrafe nennt man das. Und die deutschen Länderregierungen finden das im großen und ganzen gut. Alle 16 Landesjustizministerien wollen an der Ersatzfreiheitsstrafe festhalten, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Sonntag nach eigener Recherche berichtete. Schätzungen zufolge treten in der BRD jährlich rund 50.000 Menschen eine solche Strafe an; belastbare Daten gibt es nicht. Besonders betroffen sind Arme, Obdachlose und Suchtkranke.
Die RND-Abfrage ergab, dass am Stichtag 31. März teilweise mehr als zehn Prozent aller Häftlinge eines Bundeslandes Ersatzfreiheitsstrafen verbüßten. Spitzenreiter war Brandenburg mit 11,4 Prozent, gefolgt von Sachsen mit 10,9 Prozent. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Nordrhein-Westfalen betrug die Rate der Ersatzfreiheitssträflinge je 8,6 Prozent. Hamburg verbuchte mit 4,1 Prozent den niedrigsten Anteil. Die Länder Berlin und Hessen erheben keine entsprechenden Daten.
Mit den Worten »Bayern steht für einen starken Rechtsstaat« stellte sich Bayerns Justizminister Georg Eisenreich gegenüber dem RND hinter die Inhaftierung zahlungsunfähiger Personen. Schließlich habe der Staat eine Pflicht zur Vollstreckung des Urteils, so der CSU-Politiker. Ähnlich überzeugt von der existierenden rechtlichen Infrastruktur zeigte sich der rheinland-pfälzische Justizminister Philipp Fernis (FDP). Ohne Ersatzinhaftierungen »dürfte die Bereitschaft, eine Geldstrafe zu bezahlen oder durch gemeinnützige Arbeit zu tilgen, deutlich sinken«, sagte Fernis, der die Maßnahme als Druckmittel zum Eintreiben von Geldstrafen bezeichnete.
Dass sich die staatlichen Eintreiber keine 60 Euro entgehen lassen wollen – so viel kostet das Fahren ohne Fahrschein in der Regel –, überrascht nicht. Dass es dabei nicht um den Fiskus gehen dürfte, ergibt sich aus den Kosten der Inhaftierung. Laut RND kostet ein Häftling pro Tag durchschnittlich 200 Euro. Außerdem sind die Gefängnisse teilweise überlastet; die Schaffung neuer Kapazitäten würde weitere Kosten verursachen. Eine frühere RND-Abfrage bei den Bundesländern hatte Ende Juli bereits gezeigt, dass beispielsweise in Rheinland-Pfalz 3.180 von 3.196 verfügbaren Haftplätzen belegt waren, also eine Auslastung von 99,5 Prozent. Die Gesamtauslastung der BRD-Haftanstalten lag bei rund 86 Prozent.
»Ersatzfreiheitsstrafen belasten den Justizvollzug bundesweit«, erkannte die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina (Bündnis 90/Die Grünen). Immerhin: Ihr Bundesland, Bremen und NRW wollen zumindest das Fahren ohne Fahrschein aus dem Strafgesetzbuch streichen. Laut NRW-Justizminister Benjamin Limbach, ebenfalls Grüne, ziele die Regelung nur darauf ab, »mit Mitteln des Strafrechts eine private Geldforderung durchzusetzen«, und gehöre abgeschafft. Auf Anfrage teilte das Bundesjustizministerium dem RND mit, man prüfe derzeit eine im Koalitionsvertrag vorgesehene »Modernisierung des Strafrechts«. Ein Ende der Ersatzhaft für Zahlungsunfähige dürfte dabei auch in Ländern mit »grüner« Regierungsbeteiligung nicht herauskommen.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- Marijan Murat/dpa01.02.2023
»Das Bekenntnis zu linker Haltung wird bestraft«
- ecomedia/robert fishman/imago images30.06.2022
Gegen die Anstaltsuniform
- Markus van Offern / dpa06.02.2021
Feuertod in Kleve bleibt unaufgeklärt
Regio:
Mehr aus: Inland
-
Anton-Wilhelm-Amo-Straße
vom 25.08.2025 -
Hetze, Schläge, Feuer
vom 25.08.2025 -
Streik von Lieferando-Fahrern
vom 25.08.2025 -
Re-Reform im Krankenhaus
vom 25.08.2025