Im Folterknast
Von Carmela Negrete
Ich bin eine 36 Jahre alte Frau, habe zwanzig Jahre meines Lebens der Politik gewidmet und bin jetzt mehr als zwei Jahre in Haft.« So erklärte sich Betssy Chávez am vergangenen Freitag vor Gericht im Justizpalast in Lima, wo sie gegen ihren Willen auftreten musste. Der ehemaligen Ministerpräsidentin Perus sowie Pedro Castillo, dem 2022 abgesetzten Präsidenten des Andenstaats, wird derzeit der Prozess wegen angeblicher »Rebellion« gemacht, die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von 25 Jahren. Der Vorwurf ist einigermaßen skurril, denn etwas, das einem bewaffneten Aufstand auch nur annähernd gleichgekommen wäre, hat nie stattgefunden. Die Anwälte von Chávez gaben in der öffentlichen Anhörung, die von zahlreichen Medien live übertragen wurde, bekannt, dass die frühere Premierministerin in den vergangenen Monaten Folter und Morddrohungen ausgesetzt war, weshalb sie Mitte Juli in den Hungerstreik getreten sei. Die Rechtsanwältin und Politikerin der linken Partei Perú Libre ist seit dem Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Castillo im Dezember 2022 inhaftiert und sitzt in der Frauenhaftanstalt Chorrillos ein.
»Am Freitag, den 15. August, drohten die Wächter mir, mich von der Treppe im zweiten Stock zu stürzen. Nach meinem Protest habe ich zwei Nächte auf dem Gefängnishof verbringen müssen«, sagte Chávez im Gerichtssaal und ergänzte, dass ihre Beschwerde ignoriert wurde, und die Beamten, die sie bedrohten, bisher keine Konsequenzen fürchten mussten. Die Richterin entgegnete, sie habe eine entsprechende »Untersuchung« eingeleitet, worauf Chávez erwiderte, dass diese von einer unabhängigen Person durchgeführt werden müsse. »Ich fordere hier, dass die Untersuchung nicht von dem Sicherheitspersonal durchgeführt wird, das ich der Gewalt bezichtige. Es muss ein Mindestmaß an Unabhängigkeit geben.«
Chávez hat am Freitag nach zweitägiger Pause ihren Hungerstreik wiederaufgenommen und verweigert seither auch die Aufnahme von Flüssigkeit, solange ihr Leben bedroht werde und die Staatsgewalt nichts dagegen unternehme. Anahí Durand, ehemalige Ministerin für Frauen und gefährdete Bevölkerungsgruppen im Kabinett Castillo, erklärt gegenüber junge Welt, dass man sich ernsthafte Sorgen um das Leben von Betssy Chávez machen müsse. »Die Untersuchungshaft wird hier ganz eindeutig missbraucht. Obwohl sie nicht verurteilt ist, befindet sie sich seit zwei Jahren in Haft«, so Durand am Telefon. Die Justiz werde in Peru als politische Waffe eingesetzt.
Auch Präsident Castillo sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis ein. »Diese Einrichtungen sind für Menschen mit Vorstrafen, für Wiederholungstäter mit hohem Gewaltpotential vorgesehen. Doch Castillo wie Chávez haben zuvor weder eine Straftat begangen noch jemals vor Gericht gestanden. Daher ist die vorgenommene Gefahreneinstufung durch Strafvollzugsbehörden willkürlich«, betont die Soziologin Durand.
Der abgesetzte Präsident, bis 2022 Mitglied der linken Partei Perú libre, stand am Freitag ebenfalls vor Gericht und versicherte: »Ich sage Ihnen noch einmal, dass ich das Verbrechen der Rebellion niemals begangen habe« und fügte hinzu: »Das Volk weiß, was mit mir geschehen ist. Ich bin hier, Frau Richterin, weil ich mich niemals den Machtgruppen unterworfen habe«. Castillo erinnerte daran, dass er aus einer der ärmsten Regionen des Landes kommt und führte aus, wie die Menschen dort leben: »In meiner Gemeinde in Puña gibt es bis heute Landsleute, die nicht wissen, was elektrische Energie ist, die keine Wasserleitungen kennen. Sie trinken Wasser aus einem Brunnen.«
Castillo sagte, er sei inhaftiert worden, weil er versucht habe, den ersten Artikel der Verfassung umzusetzen, der besagt, dass die Verteidigung der menschlichen Person und die Achtung ihrer Würde das höchste Ziel der Gesellschaft und des Staates sind. »Deshalb muss man den Peruanern sagen, dass man sich dafür anstrengen muss, dass man sein Leben geben muss, dass man seine Freiheit für eine gerechte Sache einsetzen muss.« Er, Castillo, sei dafür bereit.
Perus erster aus einer ländlichen Region stammender Präsident wurde während seiner kurzen Amtszeit mit juristischen Prozessen überhäuft. Die Staatsanwaltschaft eröffnete mehr als 60 Strafverfahren. Letztlich sollte er vom Parlament abgesetzt werden. Die Staatsanwältin Patricia Benavides, die dem politischen Lager um den im vergangenen September verstorbenen Expräsidenten Alberto Fujimori und dessen Tochter Keiko nahesteht, spielte dabei eine wichtige Rolle. Castillo versuchte noch in letzter Minute, das Parlament aufzulösen und eine Übergangsregierung zu berufen, die eine neue Verfassung schreiben sollte. Die neoliberalen Kontrahenten werteten das als Putschversuch.
Am 7. Dezember 2022 stimmte das Parlament mehrheitlich für eine Amtsenthebung, kurz darauf wurde Castillo von der Polizei festgenommen und seine Vizepräsidentin Dina Boluarte in das Präsidentenamt eingeführt. Auf den so vollzogenen Machtwechsel folgten Massenproteste im ganzen Land, die die Staatsgewalt niederschoss. Die Polizei tötete im Einsatz gegen die Demonstrationen insgesamt 61 Menschen. Boluarte entschuldigte sich im Juli 2023 bei den Hinterbliebenen aller Opfer, »den Zivilisten, den Polizisten und Militärs«. Straffreiheit werde es nicht geben, so Boluarte. An die Familien der Getöteten wurde eine Entschädigung gezahlt. Damit sollte die Angelegenheit ihr Bewenden haben.
Am vergangenen Montag forderte Fernando Rospigliosi, Vizepräsident des Kongresses, eine Amnestie für alle Polizisten, die seit dem Putsch von Boluarte Demonstranten getötet hatten. Dass entgegen den eigenen Beteuerungen gerade die Impunität ihr Markenzeichen ist, bewies die Regierung Boluarte am 13. August auch mit einem Amnestiegesetz, das Militärangehörigen und Polizisten Straffreiheit gewährt, die zwischen den Jahren 1980 und 2000 getötet und gefoltert hatten. Insbesondere unter der Regierung von Alberto Fujimori gehörten Hinrichtungen, Massaker und Todesschwadronen zum Alltag. 12.000 Tote und mehr als doppelt so viele Verschwundene waren das Ergebnis. Die von Keiko Fujimoro angeführte Partei Fuerza Popular sorgte erst für eine Begnadigung, dann für eine Freilassung und jetzt für das Amnestiegesetz.
Neuwahlen gibt es in Peru erst im April 2026. Sie sollen der Regierung Boluarte einen demokratischen Anschein verleihen, was aber nur gelingt, wenn Castillo und Chávez verurteilt sind und damit keine politischen Gegner mehr sein können, die die Machtverhältnisse in Peru in Frage stellen könnten.
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Sebastian Castaneda/REUTERS15.08.2025
Freispruch für schmutzigen Krieg
- IMAGO/Anadolu Agency13.08.2025
»Eigentlich müssten alle Castillos Freiheit fordern«
- Sebastian Castaneda/REUTERS24.08.2024
»Die Richter stehen auf der Seite der wirtschaftlichen Macht«
Regio:
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Letzter Wille
vom 25.08.2025