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Aus: Ausgabe vom 23.08.2025, Seite 10 / Feuilleton
Kulturbetrieb

Mayfest

Bayreuth erblasst: 300.000 Besucher in Bad Segeberg
Von Felix Bartels
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Klaws mit Greifvogel

Jeglichen Sommer rüstet er auf, der Wilde Osten zum ewigen Kampf: Good Segeberg vs. Bad Segeberg. Am Ende gewinnen immer die Guten, mit ein paar Kollateralschäden vielleicht. Natives, im Herzen gut, mitunter verbittert. Settlers, ein bissl aggro, aber tüchtig. Es geht hin, es geht her, zwei Tote und drei Missverständnisse später wird die Friedenspfeife geraucht. George Lucas hat sich die Masche für seine Gungans auf Naboo abgeguckt. Um die sagenhafte Welt des Karl May war schon früh im 20. Jahrhundert eine umtriebige Subkultur entstanden, irgendwas ist vielleicht doch dran an all dem, wenn es die Leute so lange nicht loslässt. Jetzt haben die Veranstalter der Karl-May-Festspiele den dreihunderttausendsten diesjährigen Besucher gemeldet. Der Betreffende soll am Donnerstag die Vorstellung des Stücks »Halbblut« besucht haben, in dem man Deutschlands ersten Superstar Alexander Klaws als Winnetou sehen kann. Ist das noch Redfacing oder schon Geldnot?

Zuletzt gab es Beschwerden über die große Schlichtgestalt. Cultural Appropriation, koloniale Denkweisen, diskriminierende Stereotype wurden in Mays Werk ausgemacht. Sicher, der Wild-West-Zyklus entstand Ende des 19. Jahrhunderts. Die Frage, ob das historisch bedingte Kolorit, das unser Empfinden stört, auch toxischen Gehalt besitzt, fiel unter den Tisch. Sie ließe sich im Fall des universellen Friedensbotschafters May leicht beantworten. In einer Zeit, da nach Inhalt und Tendenzen nicht gefragt wird, es vielmehr schon reicht, dass eine bestimmte Vokabel auftaucht oder in einem historischen Werk ein historisches Vorurteil gefunden werden kann, kommt man dort nicht mehr hin.

Man könnte ja sagen, Segeberg verhalte sich zu May wie Bayreuth zu Wagner. Wie alle treffenden Witze trifft der aber nicht. Wagner war ein Genie mit Wahnsinn, das von der ihm folgenden Fankultur verklärt wird. Auch May wird von seinen Fans verklärt, aber er war ohne Genie und ohne Wahnsinn. Interessant derweil, wie groß die Bereitschaft zu Urteilen ist, wo die Rezeption das Pierre-Brice-Stadium nie überschritten hat. Man muss gar nicht allzu tief in die Philologie steigen, ins größere Gedankenspiel, auf das das zeitweilig erblindete Kind zurückgeworfen war und das sich im späteren Schaffen auszahlte. Mit detailwütigem Worldbuilding wie bei Angria und Gondal der Brontë-Geschwister oder bei Tolkiens Mittelerde konnte May nicht dienen. Aber er hat seine Welten (den Wilden Westen und den Orient) mit warm-naivem Herzen gezeichnet. Zum Feind der Menschheit steigt im Spätwerk dann tatsächlich Friedrich Nietzsche auf, den May nicht bloß im ambivalenten Ahriman Mirza porträtierte, sondern auch in seiner essayistischen Prosa ätzender Kritik aussetzte.

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