Heißbegehrte Luft
Von Gerrit Hoekman
Kein Witz: Drei Energiekonzerne haben ein Abkommen unterzeichnet, das verhindern soll, dass sie sich gegenseitig den Wind klauen. Der von den Unternehmen Energie Baden-Württemberg (EnBW), Jera Nex BP mit Sitz in London und Ørsted aus Dänemark unterzeichnete Deal könnte sogar Vorbildcharakter haben. Denn mit dem Bau immer größerer Offshorewindparks ist »Winddiebstahl« in der Branche ein ernstes Thema, das sogar Staaten auseinandertreiben könnte.
Auf der rauen Irischen See weht mehr als genug Wind – das können alle bestätigen, die schon öfter die Fähre von Holyhead in Wales rüber nach Dun Laoghaire in Irland benutzt haben. Trotzdem entbrannte zwischen den drei Energiekonzernen ein Streit über die gerechte Verteilung des himmlischen Kinds. EnBW und Jera Nex BP wollen nämlich nördlich in der Irischen See den Windpark »Morgan« bauen, der sich über rund 300 Quadratkilometer erstrecken soll. Ørsted unterhält in der Nähe aber bereits den Offshorewindpark »Burbo Bank«. Die Dänen befürchteten, »Morgan« werde ihnen den Wind aus den Segeln beziehungsweise den Rotorblättern nehmen. Was sich auf den Umsatz und Gewinn niederschlagen würde, denn darum geht es letztendlich.
Was in dem Abkommen, das den Streit jetzt beilegen soll, im einzelnen drinsteht, ist nicht bekannt. EnBW und Jera Nex BP teilten am Mittwoch lediglich mit, dass sie »mit dem Deal zufrieden sind und sich darauf freuen, das Projekt voranzutreiben und in Zukunft mit Ørsted zusammenzuarbeiten«. Die Planungen für »Morgan« können also weitergehen.
»Windkraftanlagen sind so konzipiert, dass sie den Wind aus der Luft einfangen. Misst man hinter einer Windkraftanlage, weht der Wind weniger stark. Hinter einem Windpark mit vielen dicht beieinanderstehenden Anlagen sind die Windgeschwindigkeiten deutlich geringer«, erklärte Remco Verzijlbergh von der Technischen Universität (TU) in Delft bereits im Mai im belgischen Radio 1 das für Ärger sorgende Phänomen.
Der sogenannte Nachlaufeffekt kann sich über Entfernungen von bis zu 100 Kilometern erstrecken. Die belgische Universität in Leuven hat in einer aktuellen Studie herausgefunden, dass der neue, vor der belgischen Küste geplante Windpark die Leistung der anderen zehn, die sich dort bereits befinden, um mehr als zehn Prozent reduzieren könnte. An jedem fünften Tag mit hoher Produktion könnten die Verluste sogar über 15 Prozent betragen.
Das Abkommen zwischen EnBW, Jera Nex BP und Ørsted ist zwar das erste seiner Art, aber vermutlich nicht das letzte, denn die Windparks stehen immer dichter beieinander. Damit wird »Winddiebstahl« in Zukunft noch häufiger vorkommen. Die niederländischen Windparks beklagen sich schon jetzt. Die TU Delft schätzt, dass die Windparks vor der Küste der niederländischen Provinz Zeeland zwei bis drei Prozent weniger Strom erzeugen, weil der Wind dort hauptsächlich aus Südwest kommt und zuerst durch die belgischen Parks weht.
»Mehr als 170 Windräder sind vor der Küste Zeelands in Betrieb. Doch der Wind, den sie einfangen wollen, ist oft bereits teilweise gestohlen«, umriss der Regionalsender Omroep Zeeland das Problem. Natürlich unbeabsichtigt, schob der Sender hinterher. Die Folgen können aber erheblich sein: »Schon wenige Prozent Ertragsrückgang können die finanzielle Lage von Windparks, die traditionell mit erheblichen Schulden finanziert werden, negativ beeinflussen. In manchen Fällen müssen Regierungen dann zusätzliche Mittel für Fördermechanismen bereitstellen«, so das flämische Wirtschaftsblatt De Tijd.
Eine Lösung zu finden, ist schwierig. Den Wind zu bitten, mal aus dieser oder jener Richtung zu kommen, ist wohl aussichtslos. Forschende grübeln bereits, wie dieser Effekt auf andere Weise verringert werden kann. Ein leichtes Wackeln der Rotorblätter könnte helfen, vermuten Ingenieure. »Ob und um wie viel Prozent das funktioniert, weiß noch niemand«, übt sich Remco Verzijlbergh in Geduld. Bis dahin wäre es sicher gut, wenn bestimmte Windparks schon bei der Planung ein gemeinsames Projekt von allen Beteiligten sind, von Staaten und Konzernen. Denn eins ist klar: Jeder neue Windpark setzt einen anderen in den Windschatten.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (24. August 2025 um 22:19 Uhr)Vielleicht sollte man sich einfach mal des »Energieerhaltungssatzes« erinnern, und zwar noch bevor man das ganze Meer aus reiner Profitgier dichtest bepackt »zuspargelt«. Aber warum auch sollte ein Kapitalismus zur See ein anderer sein als der an Land?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich Hopfmüller aus Stadum (22. August 2025 um 21:17 Uhr)Wann kommt endlich die Klasse an sich auf die Idee, das, was ihr gestohlen wurde, zurückzufordern? In einer physikalischen Umgebung ist der Begriff des Diebstahls unsinnig. Wenn ich einem wohldefinierten Raum Energie entnehme (Windmühle) und sie woanders hin transportiere, ist anschließend weniger Energie in diesem Raum, Punkt. Nun könnte man sich überlegen, wie man Entnahmestellen in einem Raum verteilt, damit alle möglichst gleich viel Energie entziehen können. Auf so etwas wird man sich einigen müssen. Die Auslegung der Turbinen ist eine weitere Möglichkeit: Durchmesser und Schaufelprofil anpassen. Allerdings wird eine Änderung teuer … Die Mechanismen sind bekannt und eine vorausschauende (nicht profitorientierte) Planung kann solche Effekte berücksichtigen. Selbst wenn eine künstliche Intelligenz jeden einzelnen Wirbel, der auf das Rotorblatt zukommt, anschaut und es nachsteuert, bleibt ein Problem: Um wieviel wird die Brauchbarkeitsdauer der Turbine durch die mechanische Mehrbelastung verkürzt bzw. werden die Wartungskosten erhöht? Das »Wackeln der Rotorblätter« muss ja unter Volllast (vier bis acht Megawatt, pro Blatt also mehr als ein MW) stattfinden. Kommen die Aufwände wieder ’rein?
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