Feldprediger des Tages: Marcel Fratzscher
Von Felix Bartels
Zeitgenössische Wirtschaftstheorie im Bild? Ein Kapitän soll sein leckgeschlagenes Schiff über Wasser halten. Alle Mittel sind erlaubt, ausgenommen, das Leck abzudichten. So in der Tat denkt es im neokeynesianischen DIW. Flexible Löhne und Preise, deutscher: Nullrunden und Teuerungen sollen Wachstum generieren, Atomisierung und Akkumulation, die die Instabilität verursachen, sind unantastbar. Wachstum als Werbewort, Akkumulationsinteresse zu kaschieren, wird zum höchsten Gut. Noch deutscher: Wir alle müssen Opfer bringen, damit der Laden brummt. Wir alle, ausgenommen die, von denen doch so viel abhängt.
Die Theodizee verdeckt, dass es im Kapitalismus ein Gesamtinteresse nicht geben kann. Noch auf höchster Ebene bleiben Interessen Privatinteressen, und dieser Umstand muss in einem nachgerade theologischen Konstrukt verborgen werden. DIW-Chef Marcel Fratzscher lebt diesen Glauben, vermutlich glaubt er ihn auch. Überzeugt von der heilsamen Wirkung der »Agenda 2010« hat er immer wieder eine Opferbereitschaft mittelloser Menschen eingefordert, die er von den Bemittelten, sorgsam getunter Too-big-to-fail- und Standortlogik nach, nicht verlangt. Und offensichtlich überträgt sich das zugleich auf außerökonomische Fragen. So hat Fratzscher jetzt gegenüber dem Spiegel ein »verpflichtendes soziales Jahr für alle Rentner« angemahnt, das Arbeit bei der Bundeswehr einschließt. Wie Wachstum ist Kriegstüchtigkeit ein unhinterfragtes Gut, und wie in der Ökonomik muss das peinliche Verhältnis transferiert werden: in »Solidarität der Alten mit den Jungen« oder ins Krautwort »Generationenvertrag«.
Womöglich hatten die Fridays-for-Future-Kids nicht auf dem Zettel, wie brauchbar ihr Kniff, Klassenfragen als Generationsfragen zu verhandeln, gerade für die sein würde, die zu bekämpfen sie angetreten sind.
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vom 23.08.2025