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Aus: Ausgabe vom 23.08.2025, Seite 8 / Ansichten

Unsicherheitsgarantie

Deutsche Soldaten in die Ukraine?
Von Arnold Schölzel
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Der frühere Diplomat Wolfgang Ischinger nannte die Diskussion über die deutsche Teilnahme an einer »Friedenstruppe« in der Ukraine zu Recht eine »Geisterdebatte«. Er sei »bereit, einen Besen zu fressen«, wenn Russland der Stationierung von Soldaten aus Großbritannien, Deutschland oder Spanien zustimmen sollte. Der saloppen Formulierung bedurfte es nicht: Moskau hat wiederholt offiziell erklärt, dass es kein Militär aus NATO-Staaten in der Ukraine akzeptiert.

Was soll also die Inszenierung? Eine Antwort liegt in ihrer Vorgeschichte: Emmanuel Macron hat zum Beispiel mehrfach vorgeschlagen, Truppen in die Ukraine zu entsenden, und erhielt nicht nur aus Moskau Widerspruch, sondern noch im Februar 2024 auch von Olaf Scholz – öffentlich und mehrmals. Im Mai 2024 wiederholte sich das. Zuvor hatte der Präsident laut FAZ auf einem Empfang im Élysée beim Glas Whisky sinniert, »ob er nicht bald ›unsere Jungs nach Odessa‹ entsenden müsse«. Scholz also im Gegensatz zu Macron ein Putin-Versteher? Die Antwort lautet eher: Der Franzose mag es ebensowenig wie Scholz oder Merz, dass ein Krieg verloren wird, aber macht sich offenbar mehr als die beiden Deutschen Sorgen um die Folgen für die moralische Rüstung. Im britischen Economist erklärte er jedenfalls im Frühjahr 2024: »Was mich umbringt, in Frankreich wie in Europa, ist der Geist der Niederlage (…) Und deshalb sage ich den Europäern: Wacht auf!«

Das Stichwort Niederlage erklärt zum Teil auch die deutsche Spukdebatte. Der Gipfel in Anchorage hat gezeigt, dass die USA vor allem strategische Interessen in den Beziehungen zu Russland verfolgen und den Krieg in der Ukraine beenden wollen. Das sind andere Interessen als die der EU- und NATO-Europäer, die sich und ihre Bevölkerungen auf Sieg oder etwas dem Gleichkommendes – etwa wirtschaftlichen Ruin – über Russland festgelegt haben. Die Divergenz mit den USA war seit 1945 immer da, so offensichtlich wie in diesem Fall trat sie selten in Erscheinung. Anders gesagt: Die ganze Richtung auf Frieden, wie sie Trump und Putin eingeschlagen haben und die im Detail immer noch unklar ist, passt den europäischen US-Verbündeten nicht. Sie ließen am Montag im Weißen Haus Lippenbekenntnisse ab, nur um einen Tag später mit Hilfe der Debatte über Truppenstationierung eine Friedensregelung hinauszuzögern oder sie zu torpedieren.

Die Beteiligung der deutschen Kriegsfraktion an diesem Boykottversuch war absehbar. Hemmungen haben die Herrschaften schon längst nicht mehr, Soldaten oder »Taurus« in das Land von Babi Jar und von der Wehrmacht verbrannter Erde zu schicken. Bleiben wird: Dieses sich gegen Russland aufrüstende Deutschland wird unberechenbarer. Sie sagen nun auch in Washington das eine und machen etwas anderes. Registriert werden wird: Die liefern garantiert Unsicherheit.

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