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Aus: Ausgabe vom 23.08.2025, Seite 5 / Inland
Gesundheitspolitik

Einlass mit Hürde

Kapitalboss fordert »Kontaktgebühr« bei Arztbesuch. Sozialverbände kritisieren Neuauflage einer Praxisabgabe
Von Oliver Rast
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Könnte bald wieder Eintrittsgeld kosten: Das fachmännische Überwachen von hohem Blutdruck

Es ist eine Art Paywall für den Arztbesuch. Eine Zwangsabgabe, die der Kapitalboss Steffen Kampeter für gesetzlich versicherte Patienten lieber »Kontaktgebühr« nennt. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) will damit »eine stärkere Patientensteuerung herbeiführen«, erklärte er am Mittwoch im »Berlin Playbook«-Podcast von Politico – und das »Ärztehopping« begrenzen. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, konterte am Freitag via Pressemitteilung. Für viele kranke Menschen wäre eine solche Gebühr »eine untragbare finanzielle Belastung«, so Bentele.

Kampeters Vorstoß erinnert an eine Neuauflage der Praxisgebühr, bei der von 2004 bis Ende 2012 gesetzlich Versicherte zehn Euro pro Quartal zahlen mussten. Ein Eintrittsgeld für Haus- und Facharztpraxen, mit dem gleichfalls »unnütze« medizinische Konsultationen verringert werden sollten. Der Effekt? Gleich null – deshalb auch die Rücknahme der Gebühr.

Die Vorsitzende des Hausärzteverbands, Nicola Buhlinger-Göpfarth, warnte am Donnerstag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: »Dieser Vorschlag der Arbeitgeber ist nicht nur unsozial, sondern auch komplett undurchdacht«. Ferner würde eine solche Gebühr zwingend notwendige Arztbesuche verhindern – mit schweren gesundheitlichen Folgen für die Patienten. Etwa weil Erkrankungen zu spät behandelt würden oder Vorsorgemaßnahmen nicht stattfänden. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sprach gleichentags von einer »alten Leier« und erinnerte daran, dass die frühere Praxisgebühr keine Steuerwirkung hatte, dafür aber Menschen davon abhielt, rechtzeitig medizinische Hilfe zu suchen. Und nicht zuletzt sei der Verwaltungsaufwand für die Praxen als »Gebühreneintreiber« hoch gewesen.

Auch Verdi sieht in Kontaktgebühren keinen Beitrag zur besseren Steuerung von Patienten. Schlimmer noch: »Sie würden die soziale Schieflage in der medizinischen Versorgung weiter verschärfen«, sagte Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler am Donnerstag ZDF »Heute«. Besonders Menschen mit geringem Einkommen würden durch eine solche Gebühr systematisch benachteiligt – ein Befund, der durch Studien zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen bei Zuzahlungen gestützt wird. Und die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, verwies darauf, dass beispielsweise Dialysepatienten und chronisch Kranke die Abgabe Dutzende Male im Jahr entrichten müssten – ein Umstand, der nicht nur gesundheitlich riskant, sondern auch ökonomisch irrational sei.

Offener für die Offerte des BDA zeigte sich Andreas Gassen. Grundsätzlich sei es notwendig, sich mit dem Thema Patientensteuerung zu beschäftigen, wurde der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) am Mittwoch im Ärzteblatt online zitiert. »Aber in dem Sinne, die Menschen dorthin zu bringen, wo sie richtigerweise mit ihrem gesundheitlichen Anliegen hingehören.« Und: »Selbstbeteiligungsmodelle« sollten kein Tabu sein.

Wie reagieren Parlamentarier auf die Extraabgabe? CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verwies am Rande einer Klausurtagung in Mainz auf eine »Kommission«, die sich mit Themen der Krankenversicherung befassen würde. Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen beklagte vor allem aus dem Ruder laufende Ausgaben für Krankenhausversorgung und Arzneimittel – Bereiche, die strukturell reformiert werden müssten, statt die Versicherten mit Gebühren zu belasten.

Zwischendiagnose: Die Idee einer »Thekenabgabe« beim Arztbesuch ist zurück – als vermeintliches Steuerungsinstrument. Jetzt droht Patienten erneut: Hürde statt Hilfe.

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