Im Bann des Aberglaubens
Von Fabio Nacci
Die Sonne brennt auf die rote Erde im Norden Ghanas. In Kukuo leben zwischen einstürzenden Dächern und fast ausgetrockneten Brunnen Frauen, denen Hexerei vorgeworfen wurde. Einige sind vor Lynchmobs in das »Hexenlager« geflohen, andere wurden von ihrer Gemeinschaft oder gar Familie verstoßen, weil man sie für Krankheiten, Hungersnöte oder Unglücke verantwortlich gemacht hatte. Oft folgt der Vorwurf auf einen persönlichen Konflikt, einen Akt des Widerstands oder eine Weigerung. »Ich habe abgelehnt, dass der Dorfvorsteher eine meiner Töchter heiratet. Eines Tages erkrankte ein Kind in der Gemeinschaft, und der Vorsteher beschuldigte mich«, erzählt Fatma, die für immer als »Hexe« gebrandmarkt sein wird.
Amnesty International hat in Ghana 2023 und 2024 vier »Hexencamps« besucht. Dort lebten über 500 Menschen, meist ältere Frauen. Diese Lager böten zwar Schutz, doch seien die Bedingungen äußerst hart: marode Unterkünfte, Nahrungsmangel, keine medizinische Versorgung. Amnesty kritisiert das Fehlen eines Rechtsrahmens, der Hexereivorwürfe unter Strafe stellt und die Opfer schützt. Bislang blieben die ghanaischen Behörden untätig.
Hexenverfolgung ist kein Phänomen der Vergangenheit. Schätzungen zufolge sind seit 1960 mehr Menschen wegen Hexerei getötet worden als in der Frühen Neuzeit in Europa. Die Berichte kommen aus Afrika, Ozeanien, Asien und dem Nahen Osten. Insbesondere dort, wo das Bildungsniveau gering ist, wird das Übernatürliche in Zeiten von Hunger, Epidemien und politischen Konflikten zur vermeintlichen Erklärung für das Böse. So kann es zwecks Unterdrückung und Kontrolle besonders verletzlicher Gruppen instrumentalisiert werden. Bei den Frauen sind vor allem Witwen oder Kinderlose vom »Hexenwahn« betroffen. In patriarchalen Gesellschaften kommt zur wirtschaftlichen Benachteiligung geschlechtsspezifische Diskriminierung hinzu. Auch Kinder und Menschen mit psychischen Erkrankungen sind vor dem Vorwurf dämonischer Besessenheit nicht sicher.
Im Juli 2021 verabschiedete der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen die Resolution A/HRC/47/8 zur Beseitigung schädlicher Praktiken im Zusammenhang mit Hexereivorwürfen und rituellen Angriffen. Damals hieß es, dass es in den zehn Jahren zuvor mindestens 20.000 Opfer solcher Anschuldigungen gegeben habe. Die Dunkelziffer dürfte allerdings riesig sein, da viele Fälle aus Angst vor Vergeltung oder wegen des stillschweigenden Einverständnisses der Gemeinschaften nicht gemeldet werden.
In Papua-Neuguinea ist der Aberglaube an Hexerei besonders weit verbreitet, wie die New York Times vergangenen November berichtete. Spirituelle Erklärungen der Realität seien in der lokalen Kultur tief verwurzelt, während der Staat in vielen ländlichen Regionen wenig Einfluss habe: Gemeinschaften hätten ihre eigene Justiz. Öffentliche Folterungen nach Hexereivorwürfen sind dokumentiert: Frauen wurden lebendig verbrannt, mit glühenden Eisen geschlagen, unter grausamen Qualen zu Geständnissen gezwungen. Zwischen 2016 und 2020 wurden mehr als 1.500 Fälle registriert, bei denen rund 300 Menschen verletzt oder getötet wurden. Binnenmigration und soziale Ungleichheiten würden die Gewalt weiter verschärfen.
In Saudi-Arabien sind Hexereivorwürfe Teil von institutionalisierter Repression. Seit 2009 existiert dort eine »Antihexereieinheit«, die Untersuchungen über angebliche Zauberer anstellt, sie verhaftet und vor Gericht stellt. Die Opfer sind oft ausländische Hausangestellte aus Asien und Afrika. Religiöse Richter haben großen Ermessensspielraum und die Möglichkeit, Todesstrafen zu verhängen. Gewalt im Zusammenhang mit Hexerei wird in mindestens 50 Ländern verzeichnet. Ängste, Ungleichheiten und Diskriminierungen werden von den Abergläubischen zu bösem Zauber umgedeutet. Solche Vorstellungen lassen sich durch Gesetze allein nicht auslöschen.
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vom 22.08.2025