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Aus: Ausgabe vom 22.08.2025, Seite 15 / Feminismus
Selbstbild und soziale Medien

Bestimmt vom Algorithmus

Die Fokussierung auf extrem dünne Körper in den sozialen Medien kann vor allem bei jungen Frauen zu einem verzerrten Selbstbild führen
Von Claudia Wrobel
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Soziale Netzwerke leiten junge Menschen zu ständiger Selbstbespiegelung an – ein Einfallstor für gefährliche Trends ...

Dünn gleich schön, dünner gleich schöner: Dieser ebenso einfachen wie falschen Formel folgt die Logik, die hinter dem sogenannten Skinny Girl Mindset – zu deutsch: Dünne-Mädchen-Einstellung – steckt, das in den sozialen Medien momentan immer weitere Kreise zieht. Unter dem Hashtag »Skinnytok«, einem Kofferwort aus dem englischen Wort »skinny« und dem Suffix »-tok« in Anlehnung an die Videoplattform Tik Tok, werden Bilder und Videos extrem dünner Körper gezeigt. Überwiegend geht es dabei um Frauenkörper und deren vermeintliche Ideale: sichtbare Knochen am Schlüsselbein, an der Hüfte oder den Rippen und mit der sogenannten Thigh Gap, einer sichtbaren Lücke zwischen den gerade ausgestreckten Oberschenkeln.

Zwar führt das genannte Schlagwort in der Tik-Tok-Suche nach Intervention der französischen Regierung und anderer EU-Länder mittlerweile auf eine Seite, auf der angemahnt wird, sich bei Essstörungen Hilfe zu holen – ein Verfahren, das in ähnlicher Form auch andere soziale Netzwerke wie Instagram mit den dort gängigen Schlagworten anwenden. Allerdings lassen sich solche Einschränkungen durch die Nutzer leicht umgehen, indem beispielsweise die Schreibweise leicht abgeändert wird. Darüber hinaus tun die Plattformbetreiber nichts gegen die Flut der Bilder. In der marktorientierten Logik der Plattformbetreiber ist das verständlich, da zweckmäßig, locken die vielgeklickten Videos doch genau eine Zielgruppe auf die eigene Seite und lassen sie dort lange verweilen. Das ist zynisch, zumal die Sucheinschränkungen die Gefahr dieses wie anderer Trends eindeutig belegen.

Die Debatten erinnern an die 1990er und frühen Zweitausender, als das Model Kate Moss den Zeitgeist treffend mit der Aussage beschrieb: »Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt.« Etwas später machten Pro-Ana-Foren die Runde, also Internetseiten, auf denen sich Frauen austauschen konnten, die unter Anorexie, also Magersucht, bereits litten beziehungsweise diesem ausgemergelten Körperideal nacheiferten. Heutzutage verschärfen die sozialen Medien aber die Gefahr dieser Trends: Einerseits sind die Bilder, mit denen sich vor allem junge Frauen messen, immer und überall verfügbar, und die Flut der Aufnahmen ist ungleich größer; andererseits spucken die Algorithmen der Plattformen immer wieder Inhalte aus, die man bereits angesehen hat, die einen also interessieren, das heißt, länger beschäftigen könnten. Der Blick auf die Realität verzerrt sich somit.

Vor allem dort sieht Marc Jan Eumann, Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) und Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz, einen Hebel, an dem man ansetzen sollte. »Mit großer Reichweite geht auch große Verantwortung einher«, argumentierte er angesichts der Vorstellung einer Studie über die Wirkung einer Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Bilder in den sozialen Medien auf verzerrte Körperbilder bei Jugendlichen. Es sei »an der Zeit, dass Plattformen aktiv Verantwortung für Inhalte übernehmen, um junge Nutzer*innen zu schützen«. Die Algorithmen griffen »dort an, wo das Gehirn junger Menschen noch nicht ausgereift ist«, indem sie Unmengen Dopaminausschüttungen auslösen. Die Studie war zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Kennzeichnungspflicht eben nicht den gewünschten Effekt habe, dass alternative Lösungen gesucht werden müssten.

Auch wenn Essstörungen niemals nur eine einzige Ursache haben, können solche Vorbilder die Entwicklung trotzdem befeuern. Und noch bevor eine medizinisch relevante Essstörung diagnostiziert werden kann, kann das Kreisen um das eigene Essverhalten, die Optik und das Gewicht trotzdem den Alltag bestimmen. Dann bleibt auch weniger Zeit und Raum für anderes. Bereits 1978 schrieb die Psychoanalytikerin Susie Orbach in ihrem Buch »Fat is a Feminist Issue« (deutsche Ausgabe: »Anti-Diät-Buch«): »Das hyperdünne Schönheitsideal fällt so präzise mit dem Erstarken der feministischen Bewegung zusammen, dass Misstrauen geboten ist. Es fällt schwer, in dieser ›Ästhetik der Dürre‹ nicht einen Versuch zu sehen, die Forderungen von Frauen nach mehr Raum in der Welt zu kontern.«

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