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Aus: Ausgabe vom 22.08.2025, Seite 12 / Thema
Niederlande

Moderne Sklaverei

Bis zu 17 Stunden Arbeit am Tag – Putzkräfte aus dem Ausland werden in den Niederlanden besonders rücksichtslos ausgebeutet. Über den Fall Saints & Stars
Von Gerrit Hoekman
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Arbeitskräfte werden mit falschen Versprechen ins Land gelockt und dann gnadenlos ausgebeutet. Filiale der Luxusfitnessstudiokette Saints & Stars in der Amsterdamer Bachstraat

Tellerwaschen in der Restaurantküche, Handlangen auf dem Bau, 24-Stunden-Pflege im Privathaushalt, Erdbeerpflücken auf dem Feld oder Bettenmachen im Hotel – oft verrichten in den Niederlanden Menschen aus Fernost oder Südamerika die unangenehmste und unterbezahlteste Arbeit. Viele von ihnen sind mit einem Touristenvisum eingereist oder haben bereits in einem anderen EU-Land gearbeitet. Bis zu 60.000 besitzen keine Arbeitserlaubnis für die Niederlande. Sie sind ihrem Chef, der sie oft schamlos ausbeutet wie moderne Arbeitssklaven, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

»Wenn alle Arbeiter ohne Papiere streiken würden, hätten die Niederlande ein Problem«, stellte Tesseltje de Lange, Professorin an der Radboud-Universität in Nijmegen, in der Tageszeitung De Volkskrant fest. Die Niederlande sind auf diese Leute angewiesen. Die Gesellschaft hat jedoch lange die Augen vor der bitteren Lebensrealität dieser Arbeitskräfte verschlossen – bis unlängst ein besonders krasser Fall ans Licht kam: »Bei jüngsten Inspektionen einer Fitnessstudiokette in Amsterdam stellte die Niederländische Arbeitsinspektion fest, dass dort mindestens 23 Reinigungskräfte in den Niederlanden nicht arbeiten dürfen. Die Arbeiter stammen aus Indonesien und den Philippinen und verfügen über keine Arbeitserlaubnis«, hieß es im Juli in einer Pressemitteilung der Behörde. »Sie mussten ihre Pässe bei einem Vorgesetzten abgeben. Sie erhielten Bargeld, manchmal aber auch gar keinen Lohn. Mehrere Reinigungskräfte arbeiteten sieben Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag«, so die Arbeitsaufsicht.

Für Hungerlohn schuften

Einige Reinigungskräfte hatten offenbar bei der Polizei und der Arbeitsaufsicht schwere Verstöße gegen das Arbeitsrecht angezeigt und außerdem die NGO Fairwork informiert. Um welche Firma es sich handelt, teilte die Behörde aus Datenschutzgründen nicht mit, aber die Nachricht sorgte dafür, dass die Amsterdamer Tageszeitung Het Parool zu recherchieren begann. Sie fand schnell heraus, dass es um Saints & Stars geht, ein bis dahin angesehenes Unternehmen, das in Amsterdam vier luxuriöse Fitnesspaläste für Besserverdienende betreibt. Monatlicher Mitgliedsbeitrag zwischen 135 und 189 Euro.

Het Parool nahm Kontakt zu den Putzkräften auf und hörte von ihnen schier Ungeheuerliches: Sie gaben an, nicht nur acht oder zwölf Stunden, sondern manchmal sogar 17 Stunden am Stück arbeiten zu müssen. Ohne Pause. Auch nachts. Dabei sind 45 Minuten Pause pro Schicht gesetzlich vorgeschrieben. Sofort, wenn eine Trainingsstunde im Fitnessstudio beendet war, hätten sie den Schweiß der Kundinnen und Kunden aufwischen oder zum Beispiel die noch laufende Sauna reinigen müssen – bei 80 Grad.

Die für die Putzkolonne zuständige Vorgesetzte führte offenbar ein ruppiges Regiment. Falls die Kolonne nach Ansicht der Chefin nicht sauber genug arbeitete, seien die Leute angeschnauzt und mit der Drohung von Lohnentzug und Kündigung zu noch besserer Leistung angetrieben worden: »Ich will keine Ausreden hören, wie ›Das war ich nicht‹ oder ›Ich habe Rechte‹.« Falls auch nur eine oder einer nicht gut arbeite, bekämen die anderen auch kein Geld. Einige Reinigungskräfte berichteten, sie seien sogar tätlich angegriffen worden.

Het Parool erhielt Einsicht in den Chatverlauf einer Whats-App-Gruppe, in der die Vorgesetzte nach jeder Schicht die Arbeit beurteilte. Am 3. Mai 2025 verschickte sie Fotos eines WCs, das laut Het Parool sauber war – aber für die Chefin offenbar nicht sauber genug. »Was ist das denn? Sind wir in einer öffentlichen Toilette auf einem Bazar?« blaffte sie mit rassistischem Einschlag. »Dies ist ein Premiumklub, und ich will, dass alles genau so aussieht.« Untergebracht war die Putzkolonne in einer Villa des Inhabers von Saints & Stars, in der er selbst wohl nicht wohnt. Anscheinend gab es dort allerdings nicht genügend Betten – wenn die hart Arbeitenden am Ende einer langen Schicht wie tot ins Bett fielen, mussten sie es sich mit zwei oder drei anderen teilen.

Die Mitglieder der Putzkolonne durften angeblich während der Arbeit nicht miteinander sprechen, schon gar nicht in ihrer Muttersprache, erzählte eine weibliche Putzkraft der philippinischen Onlinezeitung Inquirer Net. »Anfangs beschloss sie, die Bedingungen zu ertragen, nachdem ihre Arbeitgeber ihr erklärt hatten, dies sei Teil ihrer ›Schulung‹, und sie müsse bei ihrer Arbeit fleißiger sein«, berichtete die Onlinezeitung. Doch die Arbeitsbedingungen hätten sich ständig verschlechtert, und schließlich habe sie auch den Lohn nicht mehr pünktlich erhalten. Einer ihrer Kollegen habe oft Aufgaben übernehmen müssen, die mit dem Reinigungsjob überhaupt nichts zu tun hatten. Zum Beispiel sei er angewiesen worden, die schweren Hanteln an ihren Platz zu tragen.

Eine andere Kollegin erzählte Het Parool, sie habe statt der versprochenen 2.500 Euro im Monat für eine 40-Stunden-Woche nur 970 Euro erhalten. Bevor sie bei Saints & Stars begann, hatte sie in einem anderen EU-Land eine Anstellung und eine damit verbundene Arbeitserlaubnis. Weil das Angebot von Saints & Stars lukrativer schien, kündigte sie ihren alten Job und verlor damit auch ihre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Kein Problem, dachte sie, denn Saints & Stars hatte ihr versprochen, eine Arbeitserlaubnis für die Niederlande zu beantragen, was das Unternehmen aber offenbar nicht tat. Kolleginnen und Kollegen, denen es ähnlich erging, bestätigen dieses Vorgehen.

Die Schilderungen wollen auf den ersten Blick so gar nicht zu dem edlen Ambiente passen, mit dem Saints & Stars die wohlhabenden Kundinnen und Kunden anlockt. »Dies ist das Fitnessstudio der nächsten Generation«, eigenlobt sich das Unternehmen auf seiner Internetseite. »Hier sprengen Startrainer deine Grenzen (…): Wenn sich die Türen schließen, wird das Licht gedimmt, und die Musik wird lauter. Dann geschieht die Magie.« Holy Hyrox, Holy Recovery, Holy Wellness, Holy Yoga – alle Trainingsprogramme scheinen bei Saints & Stars heilig zu sein. Der Respekt vor der Putzkolonne aber offenbar nicht.

Der angepriesene Zauber soll sich wohl aus den exklusiven Locations der Muckibudenkette ergeben. 2020 eröffnete Saints & Stars zum Beispiel seine zweite Filiale in einer ehemaligen evangelischen Kirche. Jesus konnte in dem Gotteshaus offenbar keine Magie mehr erzeugen, jetzt trainieren dort die Fitnessjünger zu lauten Technobeats. Nach dem Workout dürfen sich die Mitglieder mit noblen Beautyprodukten frischmachen. Zum Abtrocknen hängen nach Minze duftende Handtücher bereit. Als krönender Abschluss kann an der Bar für sieben Euro noch ein Biosmoothie aus Spirulina und Blumenkohl geschlabbert werden.

Seit Mai betreibt Saints & Stars in der Nähe des zentralen Leidseplein in Amsterdam das größte Fitnessstudio in Europa. 2.500 Quadratmeter auf fünf Etagen. »Der Umfang ist beispiellos. Und das Gleiche gilt für das Niveau. Es ist High End, wirklich superluxuriös«, jubelte Firmeninhaber Tom Moos in der Zeitschrift Quote. 15 Millionen Euro soll er in den Nobelladen investiert haben. Das Gebäude liegt schräg gegenüber der legendären Konzerthalle Melkweg, wo schon Prince, Lady Gaga, die Beastie Boys und die Beatsteaks auftraten. Größer könnte der Kontrast zu Saints & Stars kaum sein: Betreiberin des Melkweg ist eine Stiftung, die keinen Profit im Sinn hat.

Nachdem sie vor kurzem fristlos entlassen worden waren, beschlossen einige Putzkräfte von den Philippinen, sich einen Anwalt zu nehmen und gegen Saints & Stars vorzugehen. Das Unternehmen wurde anscheinend nervös und soll ihnen etwa 3.000 netto als Abfindung angeboten haben. Unter einer Bedingung: Sie unterschreiben, dass Saints & Stars sie immer gut behandelt habe, berichtete Het Parool. Weil aber das komplette Gegenteil der Fall war, lehnten sie das Schweigegeld ab. Man habe sich zwar mit dem Anwalt der Gegenseite getroffen, aber »kein konkretes Angebot gemacht«, widersprach Saints & Stars in einer Stellungnahme.

Strafen schrecken nicht ab

Inzwischen beschäftigt sich auch die Politik mit dem Thema. »Es gibt mehr als ausreichende Gründe, Maßnahmen zu ergreifen«, sagte der kommissarische Sozial- und Arbeitsminister Eddy van Hijum vergangene Woche beim öffentlich-rechtlichen NPO Radio 1. Ob dem Management strafrechtliche Konsequenzen drohen, werde momentan geprüft. Diese Art von Ausbeutung kommt nach den Erfahrungen der Arbeitsinspektion immer häufiger vor, weil sie sich selbst dann noch lohnt, wenn der Fall aufgedeckt wird. Für jeden ausgebeuteten Arbeitsmigranten muss ein Betrieb ein Bußgeld von höchstens 11.250 Euro bezahlen. Für Saints & Stars kann sich der endgültige Betrag auf maximal etwa 260.000 Euro belaufen. »Solche Praktiken müssen finanziell unattraktiv werden«, fordert Minister Van Hijum. Er schlägt eine Erhöhung des Bußgelds um einige tausend Euro vor.

Die Organisation Migrante NL vertritt die Interessen philippinischer Werktätiger in den Niederlanden. Sie sieht bei Saints & Stars ein geplantes Ausbeutungsmodell. Die Firma suche über die sozialen Medien gezielt nach philippinischen Arbeiterinnen und Arbeitern – wohl wissend, dass der Arbeitsmarkt in ihrer Heimat schwierig sei. »Möglicherweise sind noch mehr Arbeiter (philippinische oder andere) diesem ausbeuterischen System zum Opfer gefallen«, vermutet Migrante NL auf ihrer Homepage.

Am vergangenen Freitag sicherte die philippinische Botschaft in Den Haag den elf Philippinern, die bei Saints & Stars ausgebeutet wurden, finanzielle Hilfe zu. »Dieser kleine Schritt erfolgte erst, nachdem die Arbeiter selbst, gemeinsam mit ihren Unterstützern und der philippinischen Gemeinschaft in den Niederlanden, entschlossen darum gekämpft hatten«, teilte Migrante NL auf seiner Homepage mit. »Die heute gewährte Unterstützung bietet zwar vorübergehende Erleichterung, reicht aber nicht einmal aus, um die Grundkosten eines Monats in den Niederlanden zu decken.« Die NGO erinnert an die ökonomische Bedeutung der philippinischen Arbeitskräfte, die umgerechnet jährlich Dutzende Millionen Euro in die Heimat überweisen und »bis zu neun Prozent zum BIP« der Philippinen beitragen.

Nur ein Fall von vielen

Auch wenn der Fokus im Moment auf Saints & Stars liegt, die Firma ist nur die Spitze des Eisbergs. »Längst nicht alle Fälle moderner Sklaverei werden erkannt oder aufgedeckt, und Opfer melden sie nicht immer«, weiß die niederländische Stiftung Fairwork. Da sei etwa die Indonesierin, die in einem »Toko« arbeitete, wie man in den Niederlanden einen Laden nennt, der asiatische Lebensmittel verkauft. Sie habe monatelang keinen Lohn erhalten, erzählte Anna Ensing von Fairwork am Sonnabend in De Volkskrant. Als sie ihren Chef darum bat, sei die Frau geschlagen worden. Ein Brasilianer habe sich zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche auf dem Bau geschunden, aber nie Geld für seine Plackerei gesehen. »Sie haben oft Angst, fühlen sich unsicher und meiden den Kontakt zur Polizei aus Angst vor Abschiebung oder Rache oder weil sie glauben, strafrechtlich verfolgt zu werden«, so Fairwork. Das ist aber nicht unbedingt der Fall: Wenn die Betroffenen Opfer oder Zeugen von Menschenhandel sind, erhalten sie vorübergehend einen Schutzstatus und dürfen im Land bleiben.

Die Wissenschaftlerin Ilse van Liempt von der Universität Utrecht arbeitet gerade an einer europäischen Studie zu dem Thema. Dabei habe sie erfahren, dass nicht nur Unternehmen wie Saints & Stars, sondern auch Privatpersonen Menschen ohne Arbeitserlaubnis ausbeuten. »Sie lassen zum Beispiel jemanden eine Woche lang einen Boden verlegen und sagen dann am Ende des Tages: ›Ich bezahle dich nicht, und wenn du dich aufregst, rufe ich die Einwanderungspolizei‹«, sagte sie am 13. August in einem Interview mit Het Parool. Neben der Sexarbeit sei Ausbeutung vor allem in Jobs wie Putzen, Essenslieferung oder Zeitungsaustragen anzutreffen. »Arbeit in ›Mangelbranchen‹, in denen es keine Arbeitskräfte gibt, die aber trotzdem erledigt werden muss.«

Besonders problematisch ist die Situation aber in der Reinigungsbranche. Wer beispielsweise in einem privaten Haushalt putzt, tut das fast immer ohne einen Arbeitsvertrag, in dem Gehalt und Arbeitszeit festgelegt sind. »Für diese Art von Arbeit bekommt man in den Niederlanden keine Arbeitserlaubnis. Es ist eine unsichtbare Arbeit, bei der Missbrauch nicht so leicht aufgedeckt wird«, nennt Van Liempt gegenüber der öffentlich-rechtlichen NOS einen Grund. »Die Menschen arbeiten oft für einen niedrigen Lohn, bekommen also sehr wenig und müssen sehr lange arbeiten, um über die Runden zu kommen. Viele werden auch nicht bezahlt. Fast jeder, mit dem wir gesprochen haben, hat die Erfahrung gemacht, für seine Arbeit nicht bezahlt zu werden.«

Hinzu kommt, dass Putzen nicht als richtige Arbeit betrachtet wird. Wer zu Hause eine Reinigungskraft beschäftigt, sieht sich häufig nicht als »Arbeitgeber« und die Personen, die das traute Heim sauber halten, nicht als Angestellte. Abgerechnet wird meistens in bar. Vertraglich festgehalten werden weder das Gehalt noch Urlaubsgeld. Beharren die Beschäftigten auf ihr Recht, werden sie einfach gefeuert.

Viele Arbeitskräfte von außerhalb der EU kennen die Aufenthaltsbestimmungen in den Niederlanden überhaupt nicht. Die Putzkräfte, die von Saints & Stars ausgebeutet wurden, wurden zunächst im Glauben gelassen, sie seien völlig legal im Land. Sie hatten keine Ahnung, dass das Unternehmen nachweisen muss, dass es für den Job keine Arbeitskräfte innerhalb der Niederlande findet. Eine Arbeitserlaubnis gilt allerdings sowieso nur für diesen einen Job. Verliert die oder der Betreffende die Stelle, geht auch die Arbeitserlaubnis flöten. Die Folge: Sie erhalten keinen Lohn mehr, können ihre Miete nicht bezahlen und landen in der Obdachlosigkeit.

Nichts gesehen, nichts gehört

Wer sich seines fragilen Status hingegen bewusst ist, denkt bestimmt nicht an Streik oder daran, die Behörden einzuschalten. Ilse van Liempt erklärte vergangene Woche gegenüber Het Parool, die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften ohne Arbeitserlaubnis sei so weit verbreitet, dass sie den Niederländern ein Leben in »relativem Luxus und Wohlstand« ermögliche. Migrante NL befürchtet: »Die Realität ist, dass die Zahl der in Not geratenen Migranten in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird, da sich die Antimigrationshysterie und die repressiven Einwanderungsgesetze in den Niederlanden und ganz Europa verschärfen werden.«

Tom Moos, der 31 Jahre alte Inhaber von Saints & Stars, ist der Sohn des niederländischen Multimillionärs René Moos, Mitbegründer und CEO von Basic-Fit, das in ganz Europa über 1.400 Fitnesscenter besitzt, auch in den alten Bundesländern und in Berlin. Quote schätzt Papas Vermögen auf 250 Millionen Euro. Verglichen mit seinem Sohn setzt der Senior aber auf ein günstigeres Modell – Basic-Fit verlangt für einen Monat nur einen Mitgliedsbeitrag zwischen 20 und 30 Euro.

Der Filius kämpft jetzt um seinen Ruf und den seines bis dahin florierenden Unternehmens. In einer Mail an die zahlenden Mitglieder, die Het Parool einsehen konnte, bestreitet er, dass jemand ausgebeutet wurde oder seinen Pass abgeben musste. Der Lohn sei stets pünktlich überwiesen worden. Kurz nachdem der Skandal bekannt wurde, reagierte er in einem Video auf die heftigen Anschuldigungen. Die Berichterstattung von Het Parool sei »sehr einseitig und zu einem großen Teil falsch«. Saints & Stars arbeite seit vielen Jahren mit einer niederländischen Reinigungsfirma zusammen, sagt Moos. Seit vergangenem Jahr habe die Firma allerdings nicht mehr genug Personal, um die vier Filialen der Fitnesskette sauberzumachen. Deshalb habe Saints & Stars selbst ausländische Putzkräfte angeworben, die sich bereits in der EU aufhielten.

»Unsere Putzkräfte sind die Basis unseres Unternehmens. Auch jene, die nicht aus den Niederlanden stammen, sehen wir als Teil unserer Familie«, so Moos leutselig. Was in der Unterkunft passiert sei, wisse er nicht. Er benutze die Immobilie, eine Villa an der Apollolaan, nicht selbst. »Ich habe niemals von irgend jemanden gehört, dass es Ausbeutung gibt. Hätte ich das mitbekommen, hätte ich sofort eingegriffen.« Jetzt erwäge er die Gründung einer Stiftung, die sich der Bekämpfung der Arbeitsausbeutung in den Niederlanden widmen soll. Die beiden Manager, die für die Putzkräfte verantwortlich waren, sind inzwischen suspendiert worden. Aber warum, fragt man sich, wenn bei Saints & Stars doch alles koscher ist?

»Dies ist eindeutig ein Bekenntnis, um den Ruf des Unternehmens reinzuwaschen«, kommentiert Migrante NL Tom Moos’ Versuch, den Imageschaden zu begrenzen. »Statt dessen muss Saints & Stars Gym seine Verfehlungen wiedergutmachen. Sie müssen ihren Verpflichtungen nachkommen: Sie müssen den Arbeitern Arbeitserlaubnisse besorgen, die geschuldeten Löhne und Sozialleistungen zahlen und ihnen beim Wiederaufbau ihres Lebens helfen.«

In Verruf geraten

»Amsterdam ist erst der Anfang. Rechnet in Zukunft mit einer Ausweitung auf internationale Städte wie London und Paris«, verriet Tom Moos noch im Februar der niederländischen Zeitschrift Quote seine großen Pläne. Doch jetzt hat sich der Wind für ihn – bis dato ein Lieblingskind der Amsterdamer Upperclass – gedreht. »Geht Saints & Stripes jetzt pleite?« fragte die Nachrichtenseite Mediacourant. Der Journalist Rob Goossens schließt das nicht aus. »Sie haben gerade einen neuen Standort eröffnet und 15 Millionen Euro investiert«, stellte er bei Mediacourant fest. »Es ging buchstäblich ums Sehen und Gesehenwerden, und wenn man jetzt dorthin geht und Sport treibt, muss man hoffen, dass niemand zusieht und dass eine Hintertür offen steht, denn man möchte wirklich nicht damit in Verbindung gebracht werden.«

Angeblich haben viele ihre Mitgliedschaft bereits gekündigt. Bekannte Kundinnen und Kunden ziehen sich beim Betreten der Fitnessstudios den Hoodie tief ins Gesicht oder verstecken ihren Kopf unter einem Handtuch, um nicht erkannt zu werden. Kurz nach Bekanntwerden des Skandals verzierten Aktivisten den Eingang einer Filiale mit Farbe und pappten kleine Aufkleber mit der philippinischen Flagge auf die Fassade. Seine Mitarbeitenden würden bespuckt, teilte Moos in seinem bereits oben erwähnten Video mit. Es habe sogar Todesdrohungen gegeben. »Das geht viel zu weit«, so der Inhaber. Was das angeht, muss man ihm ausnahmsweise Recht geben.

Fitnesstrainer Robert van Herk gab mehrere Kurse bei Saints & Stars. »Als Außenstehender bemerkte ich die kommerzielle Denkweise, die Hierarchie, den hohen Druck und das Statusbewusstsein des Luxusfitnessstudios. Aber ich hatte keinen Verdacht auf Ausbeutung«, versichert er gegenüber der Tageszeitung AD. »Ich persönlich war dankbar für die Chance, etwas Besonderes zu schaffen. Jetzt hat sich dieses Gefühl geändert, und ich bin ratlos. Falls die negativen Ereignisse tatsächlich stattgefunden haben, wurden sie gut versteckt.«

Die Prominenz gibt sich schockiert. Diejenigen, die als sogenannte Botschafter ihr Gesicht für Saints & Stars hinhielten, lassen die Fitnesskette fallen wie eine heiße Kartoffel. Die bekannte niederländische Radiomoderatorin Marieke Elsinga durfte jahrelang gratis in dem Luxusgym aufs Laufband steigen, als sie noch in Amsterdam wohnte. »Ich habe dort sehr gerne trainiert«, gibt sie bei RTL zu. »Was ich gelesen habe, ist natürlich einfach nur entsetzlich.« Das niederländische Topmodell Romee Strijd will auch nichts mehr mit Saints & Stars zu tun haben. »Unsere Zusammenarbeit ist jetzt beendet«, teilte ihr Management laut der Tageszeitung AD mit. Strijd habe von der Ausbeutung »nichts gewusst«. Sollten die kursierenden Berichte stimmen, »finden wir das traurig und falsch«.

Niemand will etwas mitbekommen haben. »Die Informationen im Artikel sind auch mir völlig neu«, sagte Moderator und Modell Robbert Rodenburg. Auf Instagram warb er für »Holy Hyrox«, ein intensives Workout, das ihn »sehr glücklich« mache, wie er seinerzeit bekanntgab. Von der Selbstverliebtheit und Ignoranz vieler Kunden und Kundinnen abgesehen spielen auch die Influencerinnen und Influencer eine unschöne Rolle, die in den sozialen Medien für Kosmetik, Klamotten und anderes werben. Sie lassen sich häufig willfährig und unkritisch als Zugpferde vor jeden Karren spannen, wenn nur die Kasse ordentlich klingelt oder andere Vergünstigungen winken. Soziale Verantwortung ist der Szene überwiegend fremd. Einige von ihnen bewarben Saints & Stars geradezu inbrünstig. In den Kommentarspalten ihrer Accounts auf Instagram oder Tik Tok bekommen sie dafür nun einen Teil der Wut ab, die sich gegen Saints & Stars richtet.

Anfang vergangener Woche besuchte die christliche Gewerkschaft CNV Saints & Stars. Die Reinigungsfirma, mit der Saints & Stars zusammenarbeitet, ist die Aress Groep aus Hoofddorp bei Amsterdam. »Wir werden uns bald mit Aress in Verbindung setzen (…). Wir möchten wissen, was genau schiefgelaufen ist und welche Rolle Aress dabei gespielt hat«, wird Gewerkschaftssekretärin Michelle van der Hoeff in einer Stellungnahme auf der Homepage des CNV zitiert. Das Fitnessstudio wäre gut beraten, den Tarifvertrag für die Reinigungsbranche zu unterzeichnen.

Im Moment gehe es den Reinigungskräften den Umständen entsprechend gut, berichtet Het Parool. Ihr Anwalt versuche, eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, weil sie möglicherweise Opfer oder Zeugen von Menschenhandel sind. Allerdings ist Menschenhandel schwer nachzuweisen. Von den schätzungsweise 2.000 verdächtigen Fällen im Jahr landen laut Fairwork nur durchschnittlich sieben vor Gericht. Derzeit sind die betroffenen Reinigungskräfte anscheinend in einer Notunterkunft in Amsterdam untergebracht. Sie sollen über Crowdfunding ein wenig Geld zur Überbrückung erhalten. Ihre Chancen, in den Niederlanden bleiben zu dürfen, schätzt Wissenschaftlerin Van Liempt eher gering ein: »Wenn sie einen Arbeitgeber finden, der bereit ist, ihnen eine Aufenthaltserlaubnis zu besorgen, gibt es theoretisch eine Möglichkeit. In der Praxis ist das in den Niederlanden jedoch sehr schwierig.«

Gerrit Hoekman schrieb an dieser Stelle zuletzt am 10. März 2025 über die Politik der neuen belgischen Regierung: »Auf dem Rücken der Lohnabhängigen«

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