Vorwürfe und Suggestion
Von Ariane Müller
Stuhr, Cremlingen und Duisburg: Vorfälle an diesen drei Orten standen im Mittelpunkt der vergangenen 26 Verhandlungstage im Prozess gegen Daniela Klette. Der schwerste Anklagepunkt ist inzwischen vom Tisch – und der Prozess vor dem Landgericht Verden geht erneut in eine Pause.
Seit Ende März wird gegen Klette als angebliches Exmitglied der 1998 aufgelösten Roten Armee Fraktion (RAF) vor dem Landgericht Verden verhandelt. Angeklagt ist die heute 66jährige wegen 13 Geldbeschaffungsaktionen und wegen des Mordversuchs an zwei Geldboten.
Den Vorwurf des versuchten Mordes im Rahmen eines bewaffneten Überfalls im Juni 2015 in Stuhr bei Bremen hat das Gericht am 10. Juli verworfen. Die drei oder vier beteiligten Personen hätten den Überfall selbstbestimmt abgebrochen und sich ruhig vom Tatort entfernt, begründete die Kammer einen entsprechenden rechtlichen Hinweis. Der schwerste Anklagevorwurf ist damit weitgehend ausgeräumt – ein Erfolg der Strafverteidiger Lukas Theune, Ulrich von Klinggräff und Undine Weyers. Von einem bedingten Tötungsvorsatz geht das Gericht allerdings weiterhin aus, da die Täter den Tod der Opfer durch ihre Schüsse in Kauf genommen hätten.
Verhandelt wurde auch der Überfall auf einen Geldtransporter in Cremlingen im Juni 2016. Tatzeugen wollen zwei Männer und eine Frau beobachtet haben. Trotz entsprechender Bearbeitung durch den Vorsitzenden Richter Lars Engelke – die wahrgenommene Frau in Cremlingen müsse doch Klette sein – haben alle bisher vernommenen Zeugen Klette nicht eindeutig erkannt. Zweifel äußerte die Verteidigung. Anwalt Theune sprach im Juli gegenüber Legal Tribune Online von einer »Suggestivwirkung« der »öffentlichen Fahndung« nach Klette und ihren mutmaßlichen Mitstreitern Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg. »Im konkreten Fall haben sich die Zeugen mit der Polizei zusammengesetzt und sind dann schnell zur Auffassung gelangt, dass es sich bei den Tätern unter anderem um meine Mandantin gehandelt haben muss«, sagte der Verteidiger. Und: »Eine Frau, die als Zeugin in der Hauptverhandlung geladen war, berichtete, wie die Polizei ihr fast schon einredete, dass sie doch die gesuchten ›Terrorristen‹ gesehen haben müsse.«
Folgerichtig stellten die Anwälte am 21. Prozesstag einen Antrag: Sie fordern unter anderem die Analyse eines psychologischen Gutachters, der zu Falschaussagen forscht. Der Experte könne zeigen, dass zahlreiche Zeugenaussagen im Prozess gegen Klette nicht belastbar und verlässlich seien, hieß es. Die Befragten seien unter anderem von Gesprächen mit anderen Zeugen, von Social-Media-Plattformen sowie von Berichten aus Zeitung, Fernsehen und Internet beeinflusst worden. Die Verteidiger führten Zitate an, die zeigen sollen, dass sich die Zeugen vor ihren Aussagen bei der Polizei mit anderen Tatbeobachtern ausgetauscht haben mussten und Berichte über das gesuchte RAF-Trio als mutmaßliche Täter des Überfalls in Cremlingen kannten.
Auch bei dem Überfall in Duisburg im Juli 1999 konnten die bisher befragten Zeugen keine konkreten Aussagen mehr machen – kein Wunder nach über 25 Jahren. Sowohl der Fahrer als auch der inzwischen verstorbene Beifahrer des Geldtransporters hatten in Vernehmungen bereits angegeben, keine Frau, sondern nur Männer wahrgenommen zu haben. Der Überfall in Duisburg gilt als erste Aktion vermeintlicher ehemaliger RAF-Mitglieder nach der Auflösung im Jahr 1998.
Der Prozess gegen Daniela Klette wird nach der Sommerpause in Verden-Eitze am 9. September 2025 fortgesetzt.
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