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Aus: Ausgabe vom 21.08.2025, Seite 16 / Sport
Fußballrealität

Leipziger Stimmungen

Am Sonntag unterlag der 1. FC Lokomotive Leipzig dem FC Schalke 04 in der ersten DFB-Pokalrunde mit 0:1. Doch das sportliche Geschehen geriet nach Abpfiff zur Nebensache
Von Sören Bär
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Der liegende Tobias Dombrowa (Leipzig) und der fallende Christopher Antwi-Adjei (Schalke 04)

Am Sonntag machte sich der Autor um 13.50 Uhr auf den Weg zum Bruno-Plache-Stadion in Leipzig-Probstheida. Er benötigte statt der sonst üblichen 20 Minuten eine Stunde mehr als sonst, weil es aufgrund des hohen Zuschaueraufkommens kaum voranging. Dennoch gelang es, 15 Minuten vor dem Anpfiff um 15:30 Uhr den reservierten Platz auf der legendären Holztribüne zu erreichen. Noch im Auto wurde dem Verfasser die Information zugespielt, dass am Vorabend ein Mob von 150 Schalke-Anhängern martialisch durch die City marschiert war und »Wir hassen Ostdeutschland!« gegrölt hatte.

Auf dem Hinweg stellte sich deshalb ein etwas mulmiges Gefühl ein, obwohl unter den Lok-Fans die Vorfreude auf das Duell mit den Knappen groß war – viele Blaugelbe sympathisieren mit den Königsblauen und reisen auch zu deren Spielen. Im Stadion zeigte sich alles für ein rauschendes Fußballfest angerichtet. 11.900 Zuschauer bildeten eine stimmungsvolle Kulisse. Die Lok-Ultras erinnerten mit einer faszinierenden Choreo an den 1937 errungenen 2:1-Pokalsieg gegen die Knappen. 1995 blieben dann die Schalker im DFB-Pokal durch einen Treffer von Youri Mulder mit 1:0 siegreich, weil Jens Lehmann einen Elfmeter von Steffen Heidrich parierte. Mulder befand sich als heutiger Direktor Profifußball der Gäste auch diesmal vor Ort. Das 2013 ausgetragene Freundschaftsspiel (Schalke gewann 2:1) ist mit angenehmen Erinnerungen verbunden. Doch wenige Minuten nach Beginn bestätigte sich der Eindruck des Vorabends. Die 2.000köpfige »Nordkurve Gelsenkirchen« skandierte minutenlang ebenfalls »Wir hassen Ostdeutschland!« in Richtung der Haupttribüne.

Der Zweitligist startete wie ein Orkan, um Lok mit einem schnellen Tor zu schocken. Doch der FCL überstand diese Phase unbeschadet – dank Tormann Andreas Naumann, der in der 8. Minute eine Großchance von Moussa Sylla entschärfte. In der 13. Minute kam es zu einer folgenschweren Szene: Christopher Antwi-Adjei ging nach einem Foul von Alexander Siebeck im Zweikampf zu Boden. Lok-Akteur Siebeck wollte ihm fair wieder auf die Beine helfen, doch der 31jährige Nationalspieler Ghanas schlug die zur Versöhnung ausgestreckte Hand des Leipzigers brüsk zurück, wodurch er ein gellendes Pfeifkonzert auslöste. Einen unmittelbar folgenden Einwurf brach Antwi-Adjei unvermittelt ab und begab sich zu Schiedsrichter Max Burda. Es kam zu einer fünfminütigen Unterbrechung. Im Stadion blieb der Grund dafür völlig unklar, weil die Durchsage des Stadionsprechers nicht zu verstehen war. Es entstand jedoch angesichts des theatralischen Gestus von Antwi-Adjei der Eindruck, dass der Schalker einen Spielabbruch provozieren wollte. Erst nach dem Spiel sickerte durch, dass er behauptete, von einer einzelnen Person als »scheiß N…« tituliert worden zu sein. Weder Schieds- noch Linienrichter oder umstehende Personen vernahmen die Beleidigung. Er sah sich für die gesamte weitere Spieldauer Pfiffen ausgesetzt – schätzungsweise wegen seiner Theatralik, nicht wegen seiner Hautfarbe. Antwi-Adjei wurde bereits am 11. Februar 2020 – damals noch als Akteur des SC Paderborn – im Spiel gegen den FC Schalke 04 nachweislich mit »Affenlauten« beleidigt, was ihn allerdings nicht davon abhielt, 2024 selbst ins Trikot der Schalker zu schlüpfen – des Klubs also, der wegen mannigfaltiger rassistischer Entgleisungen seiner Fans bereits eine Vielzahl an Geldstrafen zu verbüßen hatte.

Nach circa 25 Minuten befreite sich Lok und stellte Feldüberlegenheit her. Unmittelbar vor dem Kabinengang gab es Chancen im Minutentakt, doch auch Schalke-Keeper Justin Heekeren erwies sich als Meister seines Fachs und vereitelte insbesondere die Gelegenheiten von Ayodele Adetula (41.) und Siebeck (44.).

Nachdem die Blue-Side-Ultras anlässlich ihres zwanzigsten Gründungsjubiläums mit einer blau-gelben »2005«-Darstellung aufwarteten, wogte das Geschehen in der zweiten Halbzeit auf und ab. Für Lok setzten Stefan Maderer (54.), Jonas Arcalean (56.) und Capitano Djamal Ziane (89.) Akzente, auf Seiten der Schalker brillierte Sylla mit einem Volleyschuss (57.), doch der starke Naumann ließ sich nicht überwinden.

Auch in der ersten Hälfte der Verlängerung bestätigte Naumann seinen »Sahnetag« (Schalke-Trainer Miron Muslic ) bei Schüssen von Sylla (102.) und Lasme (105.). Als bei Anbruch der zweiten fünfzehn Minuten der Verlängerung allgemein ein Elfmeterschießen erwartet wurde, gelang Schalke doch noch der »Lucky Punch«: Ausgerechnet der eingewechselte Franzose Bryan Lasme, dem Extrainer Thomas Reis einst eine »Lederallergie« attestierte, versenkte das Spielgerät im linken unteren Eck (107.). In der verbleibenden Viertelstunde gelang es abgekämpften Lok-Akteuren nicht mehr, Torgefahr zu erzeugen.

Sofort nach dem Spiel und an den beiden darauffolgenden Tagen setzte ein regelrechtes Kesseltreiben in diversen »Qualitätsmedien« ein, wobei die Skandalisierung des Geschehens immense Ausmaße annahm. Alternierend wurden der 1. FC Lok, die Stadt Leipzig und schließlich der gesamte »blaue Osten« in Kollektivhaftung für die mutmaßliche Handlung einer Einzelperson genommen. Besonders negativ ragten in diesem Überbietungswettbewerb die Leipziger Volkszeitung, Herausgeberin des qualitativ hochstehenden Fußballmagazins Der Rasenballer, und deren Sportchefin Antje Henselin-Rudolph heraus, die in ihrem Kommentar, die Pfiffe gegen Antwi-Adjei als »rassistische Diskriminierung«, »menschenfeindlich« und »hässliche Fratze« bezeichnete. Henselin-Rudolph tat sich bisher in erster Linie durch krudes White- und Greenwashing hinsichtlich der Aktivitäten des von Red Bull alimentierten Klubs Rasenballsport Leipzig hervor. Zuletzt berichtete sie enthusiastisch über die Brasilien-Tournee des Klubs. Was Wunder, durfte sie RB doch selbst bei der Reise begleiten. Wes Brot ich ess’ … Nachdem der Beitrag über das bedeutendste Leipziger Sportereignis des Wochenendes zunächst im LVZ-Sportteil nur auf Seite drei erschien, weil auf Seite eins ausgiebig analysiert wurde, wie sich RB in Sandhausen mühsam in die zweite Runde quälte, schafften es Lok gegen Schalke und der »Rassismusvorfall« am Dienstag sowohl auf die Topposition des Sportteils als auch auf die Titelseite der gesamten Zeitung.

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