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Aus: Ausgabe vom 21.08.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Kernenergie

Arbeitskampf im Atomkraftwerk

England: Im Atommeiler Sellafield kämpfen Beschäftigte für bessere Arbeitsbedingungen und Zulagen
Von Dieter Reinisch
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Es gibt nichts zu sehen: Der Reaktor in Sellafield

Das größte britische Atomkraftwerk in Sellafield sollte stillstehen. Doch die Gewerkschaft Unite pausierte den geplanten Ausstand, da die Betreiber Dienstag nacht kurzfristig ein neues Angebot vorgelegt hatten. Nun lasse die Gewerkschaft die Beschäftigten darüber abstimmen – abgesagt sei aber noch nichts, teilte Unite in einer Aussendung am Dienstag ausdrücklich mit.

Im Heizkraftwerk Fellside, das den Standort Sellafield mit Dampf und Strom versorgt, kam es also nicht zum Ausstand. Für 24 Stunden sollte die Arbeit niedergelegt werden, nachdem zuvor zwei Angebote abgelehnt worden waren. Ein Sprecher des Kraftwerkbetreibers PX Limited erklärte gegenüber BBC am Dienstag, man habe das Lohnangebot nach weiteren Gesprächen mit der Gewerkschaft verbessert.

Wäre es nach der konservativen Vorgängerregierung unter Premierminister Rishi Sunak gegangen, hätte der Streik nicht stattfinden dürfen. Durch das neue Antistreikgesetz hätten mehrere Branchen zum Streikbruch gezwungen werden können. Neben Feuerwehrleuten, Bahnbediensteten und Gesundheitspersonal hätten auch Beschäftigte im Bereich der Kernenergie nicht mehr streiken dürfen. Die Labour-Regierung hatte das Gesetz zunächst auf Eis gelegt und im Oktober 2024 gänzlich verworfen. Gut möglich, dass sich einige in der Labour-Regierung nun ärgern, wenn die Welle an Streiks wieder anrollt.

»PX Limited hat die Verhandlungen wieder aufgenommen und unseren Mitgliedern ein verbessertes Angebot unterbreitet«, erklärte Ryan Armstrong, Regionalbeauftragter von Unite, laut einer Presseaussendung der Gewerkschaft am Dienstag. Obwohl der Streik im Heizkraftwerk ausgesetzt wurde, gehe der Arbeitskampf in anderen Abteilungen des Kernkraftwerks unvermindert weiter. Ende Juli hatten 1.500 Unite-Mitglieder der Gewerkschaft mit 90 Prozent Zustimmung ein Streikmandat ausgestellt, nachdem es zu keiner Einigung in den Tarifverhandlungen gekommen war.

Die Beschäftigten arbeiten über Subfirmen beim Betreiber des Kernkraftwerks. PX Limited weigert sich, ihnen weiterhin die Gefahrenzulagen für den Standort Sellafield auszuzahlen. Es ist eine Taktik, die Unternehmen in Großbritannien zunehmend anwenden: Zuschüsse, die von den Gewerkschaften über Jahre hinweg erkämpft wurden, sollen nur noch für Mitarbeiter, die direkt beim Unternehmen angestellt sind, gelten, aber nicht für Mitarbeiter von Subfirmen. Im Gegensatz zu Sellafield werden derartige Gefahrenzulagen an den Atomkraftwerken Hinkley Point C und Sizewell C bezahlt.

Ab Sonnabend werden die Beschäftigten von 34 Subunternehmen im Atomkraftwerk nun auf unbestimmte Zeit Dienst nach Vorschrift machen. Die Maßnahme soll die größtmögliche Wirkung erzielen, da die Arbeit von verschiedenen Berufsgruppen, darunter Elektriker, Tischler, Rohrinstallateure, Takler, Schweißer, Erdarbeiter und Maler, behindert und verzögert wird, schrieb die Gewerkschaft in einer Mitteilung vergangene Woche. Unite-Generalsekretärin Sharon Graham erklärte darin, die Mitglieder seien »hochqualifiziert« und arbeiteten in einem »äußerst anspruchsvollen Umfeld«: »Dennoch weigern sich die Betreiber, die Löhne zu zahlen, die sie vernünftigerweise fordern.«

Seit Beginn des Konflikts versucht das Unternehmen, die Gewerkschaftsvertreter zunehmend an ihrer Arbeit zu behindern: Sie verweigern Betriebsräten die Freistellung von Sitzungen, sagen Besprechungen mit den Gewerkschaften ab und kürzen den Vertretern, die an Sitzungen teilnehmen, den Lohn, berichtet Unite.

Durch den Dienst nach Vorschrift werden die Arbeiten an wichtigen Sanierungsprogrammen und der Infrastrukturinstandhaltung unterbrochen. »Das Unternehmen sollte sich nicht auf gewerkschaftsfeindliche Taktiken konzentrieren, sondern statt dessen ein tragfähiges Angebot unterbreiten, um eine weitere Eskalation zu vermeiden«, erklärte Unite-Regionalbeauftragter Ryan Armstrong. Kommt es zu keiner baldigen Einigung, will Unite im gesamten Kernkraftwerk streiken.

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