Aus Leserbriefen an die Redaktion

Das Sich-geschickt-Durchwinden
Zu jW vom 13.8.: »Rotlicht: Pragmatismus«
Die reaktionäre Ideologie des Pragmatismus sollte in der jW öfter auf- und angegriffen werden. Gut, dass dies mal wieder passiert. Wer sich vertiefend mit dieser Materie beschäftigen will, dem sei das antiquarisch noch zu bekommende Werk von Dr. Harry K. Wells empfohlen. Der Dietz-Verlag Berlin veröffentlichte 1957 das 279 Seiten umfassende Buch des marxistischen Theoretikers unter dem Titel: »Der Pragmatismus, eine Philosophie des Imperialismus«. Mich hat das Buch begeistert. Fundiert, lesbar, die kritische, wissenschaftliche Behandlung der Philosophie des Imperialismus, »des ›Big Stick‹, die Philosophie des krassesten Nützlichkeitsprinzips, der Praxis ohne Theorie, der Bewegung ohne Richtung, der Improvisation, des Sich-geschickt-Durchwindens und der obersten Doktrin des amerikanischen Busineß: Nichts hilft so gut wie der Erfolg.« (Aus dem Vorwort)
Die Lektüre lässt den Leser die Parallelen zwischen Trump, pseudolinken Intellektuellen, AfD-Politikern und Grünen-Politikern à la Boris Palmer erkennen. Und man weiß hinterher, warum Mussolini erklärter Anhänger dieser Ideologie war. Schade, dass bisher kein linker Verlag diesen Schatz neu aufgelegt hat. Bitter nötig wäre es, angesichts dieses oft verkannten Modebegriffes »pragmatisch«, oft genug schlicht verwechselt mit »praktisch«.
Claus Nölting, Hamburg
Falscher Freund: Westfernsehen
Zu jW vom 18.8.: »Aus Leserbriefen an die Redaktion«
Ich stimme der jW-Leserin Margitta Mattner in ihrer Analyse zu. Leider hat sich ein Großteil der DDR‑Bürgerinnen und ‑Bürger jahrzehntelang von den Westmedien (Radio- und Fernsehsendern) verblenden und manipulieren lassen. Politische Bildung in unseren Schulen und Universitäten, Berichte in der DDR-Presse und auch im DDR-Fernsehen über die kapitalistischen Verhältnisse in der BRD wurden oft als lächerliche »SED-Propaganda« abgetan. Es wurde den Westmedien mehr geglaubt. Kein Wunder also, dass sich ein Großteil der DDR-Bevölkerung 1989/90 für die »Wende«, also für den Kapitalismus, entschieden hat.
Joachim Becker, Eilenburg
Soziale Frage falsch gelöst
Zu jW vom 9./10.8.: »Nüchtern im nationalen Delirium«
Frappierend, diese klarsichtige und zukunftsweisende Analyse von Wilhelm Liebknecht von vor 154 Jahren. Bedrückend ist allerdings deren Aktualität. Zwei imperialistische Weltkriege und eine letztlich nicht erfolgreiche sozialistische Revolution später ist die Welt kein Stück gesellschaftsfortschrittlich weitergekommen. Wir, also nicht nur die Besitzenden, meinen, diesen Mangel, diese Not mit vermeintlich technischem Fortschritt zu kaschieren, der aber oft keiner ist, sondern nur menschenfeindlicher Profittreiber. Wir steuern auf den dritten Weltkrieg zu und die Besitzenden »lösen« die soziale Frage durch von ihnen organisierte lokale Kriege, Hungersnöte und Umweltkatastrophen, wo jetzt nicht »nur« »achtzigtausend Sozialisten getötet oder dem Tod geweiht« sind, sondern jährlich Millionen auch politisch unbedarfte »Kostgänger« beseitigt werden.
Wolfgang Schlenzig, Berlin
Wie lange noch?
Zu jW vom 19.8.: »Putins Pyrrhussieg«
Die beste, sogar mit weitem Abstand, Analyse zum Trump-Putin-Treffen in Alaska. Mich hat das alles ein wenig an das Münchner Abkommen erinnert, nachdem der »Peacekeeper« wieder in London mit einem unterzeichneten Blatt Papier »wedelte«. Es dauerte dann nicht mehr lange, bis der Zweite Weltkrieg begann. Ich kenne die Ziele von Putin nicht, ich weiß, dass er keinen NATO-Staat an seiner Grenze will. So wie Putin »Trump am Nasenring durch die Arena führte«, glaube ich noch lange nicht an einen tatsächlichen Frieden in der Ukraine. Es gab eine friedliche Zeit in Europa, wir nannten sie den »Kalten Krieg«, der endete 1989. Was ist daraus geworden? Der Kapitalismus und die NATO expandierten europaweit. Und machen wir uns doch nichts vor: In Ungarn regiert ein Autokrat, in Italien eine Neofaschistin. Niederlande, Frankreich, Deutschland – wie lange hält die Demokratie noch? Dass die USA noch demokratisch regiert werden, wer glaubt dieses Märchen noch? Obdachlosigkeit in ständig steigender Anzahl von Menschen gibt es inzwischen in ganz Europa. Welcher kolonialisierte DDR-Bürger konnte sich vorstellen, wie seine Zukunft aussehen würde? Kapitalismus funktioniert genauso, wie es in den DDR-Schulen gelehrt wurde. Aber warum kommen Menschen im kolonialisierten Teil Deutschlands auf die Idee, Nationalismus, Rassismus oder Faschismus könnten daran etwas ändern?
Ronald Prang, Berlin
DB-Bauernopfer
Zu jW vom 15.8.: »Bahn-Chef Richard Lutz vorzeitig gefeuert«
Bahn-Chef Lutz muss also gehen. Er ist das Bauernopfer, das man bringen muss, damit niemand auf die Idee kommt zu sagen, dass es die seit Jahrzehnten verfehlte Verkehrspolitik der Bundesregierung ist, die den miserablen Zustand der Bahn geradezu herausgefordert hat. Man stößt sonst zu leicht darauf, dass die blödsinnigsten Entscheidungen immer dann getroffen wurden, wenn ein CSU-Mitglied Verkehrsminister war. Die haben sich bei der konsequenten Schwächung der Bahn gegenseitig immer wieder übertroffen, was man eigentlich gar nicht für möglich halten sollte. Aber der Lutz wars und der nächste wird es in ein paar Jahren auch wieder gewesen sein, wenn Deutschland endgültig zum Bahnentwicklungsland heruntergewirtschaftet ist.
Joachim Seider, Berlin
Kapitalismus funktioniert genauso, wie es in den DDR-Schulen gelehrt wurde. Aber warum kommen Menschen im kolonialisierten Teil Deutschlands auf die Idee, Nationalismus, Rassismus oder Faschismus könnten daran etwas ändern?
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